Lieferengpässe in der Automobilbranche setzen sich bis 2024 fort
In dieser Ausgabe widmen wir uns der aktuellen Lage der Automobilindustrie und den Herausforderungen, die der Branche nun bevorstehen. Hierfür haben wir im Rahmen unseres 19. Global Automotive Outlooks die Bilanzen von mehr als 300 Automobilherstellern und -zulieferern weltweit ausgewertet sowie eine Vielzahl von Experteninterviews und Verbraucherumfragen durchgeführt. Die wichtigsten Informationen in Kürze:
- Absatzmarkt: China und Europa bremsen die Erholung
- Geopolitische Disruptionen lassen weltweiten Absatzrückgang auf 78,9 Millionen Fahrzeuge im Jahr 2022 erwarten
- Bis 2024 werden die aktuellen Lieferengpässe, u.a. bei Halbleiter und Rohmaterialien das steigende Produktionsvolumen limitieren
- In Deutschland werden die Verkäufe bis 2024 auf 3,7 Mio. Einheiten steigen. Auf absehbare Zeit werden diese nicht mehr über das Niveau von vor der Pandemie wachsen
- Wirtschaftliche Situation OEMs und Zulieferer:
- Die EBITDA-Marge der OEMs steigt auf über 12 Prozent, die der Zulieferer nur auf gut 10 Prozent, da höhere Materialkosten die Preiserhöhungen übersteigen
- Die Rohmaterialpreise für Verbrenner verdoppeln sich seit 2020, die für voll-elektrische Fahrzeuge verdreifachen sich fast im gleichen Zeitraum
- Elektromobilität: Beschleunigtes Wachstum und Absatzrekord
- Weltweiter Absatz batterieelektrischer Fahrzeuge (BEV) verdoppelt sich im letzten Jahr auf 6,75 Mio.
- Europa wird 2035 mit einem BEV-Anteil von 83 Prozent aller verkauften Fahrzeuge eine weltweite Führungsrolle einnehmen (Deutschland im Jahr 2035: 96%), 2028 wird der BEV-Anteil bereits 55 Prozent aller Verkäufe in Europa ausmachen
- Halbleiter-Knappheit hält bis mindestens 2024 an. Zu diesem Zeitpunkt ist der kummulierte Bedarf für BEV um den Faktor 10 höher als 2021
- Steigende Rohstoffpreise verhindern weiteres Absinken der Batteriekosten, Verbreitung von LFP-Batterien wird signifikant zunehmen
- Wandel der Geschäftsmodelle
- Die angekündigten Investitionen in Elektrofahrzeuge haben sich in den letzten zwei Jahren verdoppelt, auf 526 Milliarden Dollar bis 2026
- Bei den OEMs wird sich die Anzahl der bestehenden Verbrenner- und Hybridmotoren-Programme in Europa zwischen 2024 und 2028 um ein Drittel reduzieren
- Für OEMs sowie Tier-1-Zulieferer kann eine rechtzeitige, aktive Übergangsplanung ihrer Zulieferbasis zwischen 40 und 60 Prozent Restrukturierungskosten sparen, die sich global bis 2030 auf 70 Mrd. Dollar beziffern könnten
Absatzrückgang am globalen Markt vor allem in China und Europa
Zwei Jahre nach Pandemie-Beginn haben der Ukraine-Krieg und Rohstofflieferengpässe Covid-19 als größte Herausforderung für die Automobilbranche abgelöst. Für das Jahr 2022 wird weltweit ein Absatzrückgang von 80,3 Millionen Fahrzeugen im Jahr 2021 auf 78,9 Millionen im Jahr 2022 erwartet, sowie voraussichtlich 238 Mrd. Euro weniger Umsatz, vor allem ausgelöst durch die aus geopolitisch resultierenden Lieferengpässen.
Dabei verzeichnen China und Europa zwischen 2020 und 2022 den größten Rückgang (China: -0,3 Mio. Einheiten CAGR; Europa: -0,8). Der Absatz auf dem europäischen Markt sinkt damit um 3 Prozentpunkte. Erst frühestens 2024 wird die Fahrzeugproduktion das Niveau vor Beginn der Pandemie erreichen.
In Deutschland werden die Verkäufe bis 2024 auf 3,7 Mio. Einheiten steigen, sich langfristig jedoch nach 2024 im Bereich von 3,2 Mio. bis 3,5 Mio. Fahrzeuge pro Jahr einpendeln. Sie liegen damit bis zu 500.000 Fahrzeuge unter den Verkaufszahlen vor Covid-19 und werden auf absehbare Zeit nicht mehr über das Niveau vor der Pandemie wachsen. Diese Zahlen spiegeln das mittel- bis langfristige veränderte Mobilitätsverhalten der Bevölkerung wider.
Zulieferer profitieren nicht im gleichen Maße wie OEMs von Preiserhöhungen
Zwar stieg im Jahresvergleich die EBITDA-Marge der weltweiten Top 25 OEMs um 34 Prozent auf durchschnittlich über 12 Prozent, die der weltweiten Top 50 Zulieferer nahm jedoch nur um 18 Prozentpunkte auf gut 10 Prozent zu. Damit haben OEMs wie Zulieferer die Rückgänge der Corona-Krise zwar aufgeholt, letztere konnten jedoch nicht im gleichen Maße wie die OEMs von den Preiserhöhungen profitieren. Grund dafür sind hauptsächlich die gestiegenen Rohmaterialkosten. Dies führt dazu, dass über die Hälfte des wirtschaftlichen Gewinns bis 2023 auf die Fahrzeughersteller entfällt – die Zulieferer hingegen erwirtschaften erst frühestens im kommenden Jahr wieder ähnliche Gewinne wie vor 2020.
In Europa ist es für die Hersteller wichtiger denn je, nachhaltig stabile Lieferketten aufzubauen. Außerdem stehen Zulieferer aufgrund der Preishoheit der OEMs unter starkem finanziellem Druck. Hier ist eine langfristig stabile Beziehung der Schlüssel für künftigen Erfolg auf beiden Seiten.
Die Rohmaterialpreise für Verbrenner-Fahrzeuge haben sich aufgrund der aktuellen Krisen seit 2020 verdoppelt, die Rohmaterialkosten für voll-elektrische Fahrzeuge im gleichen Zeitraum etwa verdreifacht. Elektrofahrzeuge, die umso mehr von Kobalt, Nickel und Lithium abhängen, reagieren damit noch empfindlicher auf steigende Rohstoffkosten als solche mit Verbrennermotoren.
Elektromobilität am Übergang zum Massenmarkt: Beschleunigtes Wachstum und Absatzrekord
Während der Absatzrückgang vor allem bei den Verbrennern zu verzeichnen ist, verdoppelt sich der weltweite BEV-Absatz von 2020 zu 2021 auf 6,75 Mio. Fahrzeuge. Diese Entwicklung wird auch 2022 und in den Folgejahren weiter an Dynamik gewinnen. So zeigt auch der Beschluss des EU-Parlaments zum Aus für Verbrennermotoren, dass Europa, auch wenn es sicherlich Ausnahmen und Kompromisse geben wird, im Elektromarkt auf dem Weg in eine Führungsposition ist. Somit kann bis 2035 mit einem BEV-Anteil von 83 Prozent aller verkauften Fahrzeuge gerechnet werden, schon in 2028 werden 55 Prozent aller Verkäufe vollekektrisch angetriebene Fahrzeuge sein. Weltweit wird bis 2035 lediglich ein Anstieg auf 50 Prozent batterieelektrischer Fahrzeuge erwartet.
Halbleiter-Knappheit hält trotz höherer Produktion bis mindestens 2024 an
Auch an der BEV-Produktion gehen die aktuellen Ressourcenprobleme nicht spurlos vorbei. So hält die Halbleiterknappheit trotz höherer Produktion bis mindestens 2024 an. Der Bedarf von Halbleitern wird für BEV von 2021 auf 2026 um den Faktor 10 steigen und dazu beitragen, dass die Fertigungskapazitäten der Halbleiterhersteller bis 2024 nicht ausreichen werden, den gesamten Bedarf der Automobilindustrie zu bedienen.
Steigende Rohstoffpreise verhindern weiteres Absinken der Batteriekosten, Verbreitung von LFP-Batterien wird vermutlich zunehmen
Steigende Rohstoffkosten sorgen dafür, dass die Kosten für Batterien entgegen dem Trend der letzten Jahre wieder zunehmen. OEMs müssen daher verstärkt darauf achten, Rohstoffe für die Elektrofahrzeugproduktion zu sichern. Eine weitere Möglichkeit, diesem Trend entgegenzuwirken, stellen LFP-Batterien dar, bei denen in den nächsten Jahren mit einem Aufschwung für die niedrig- und mittelpreisigen Fahrzeuge gerechnet werden kann. Diese sind im Vergleich zu herkömmlichen NMC-Batterien deutlich günstiger und haben den Vorteil, dass sie nicht auf seltene Erden aus wirtschaftlich und politisch instabilen Regionen angewiesen sind. Zudem wird in den LFP-Batterien auf den Rohstoff Nickel verzichtet, dessen Materialpreise deutlich angestiegen sind und bei dem ab 2027 mit einer deutlichen Verknappung gerechnet wird. Allerdings gehen mit LFP-Batterien ein höheres Gewicht für die E-Autos und eine geringere Reichweite einher.
Auf dem Weg zum Massenmarkt muss Ladeinfrastruktur geschaffen werden, die es nicht nur Hausbesitzern mit eigener Ladestation ermöglicht, ihr Fahrzeug betriebsbereit zu halten. Auch Stadtbewohner ohne eigene Parkmöglichkeit benötigen verlässliche Ladepunkte. Daher braucht es mehr Ladesäulen im öffentlichen Raum – beispielsweise während des Einkaufs im Supermarkt oder während der Arbeitszeit. In der Integration von Ladestruktur in den Alltag der Kunden liegt der Schlüssel, um die E-Mobilität erfolgreich weiter auszubauen.
Wandel der Geschäftsmodelle
Die von OEMs und Zulieferern angekündigten Investitionen in Elektrofahrzeuge haben sich in den letzten zwei Jahren verdoppelt und werden bis 2026 auf 526 Milliarden Dollar ansteigen. Bei den OEMs wird sich die Anzahl der bestehenden Verbrenner- und Hybridmotoren-Programme in Europa zwischen 2024 und 2028 um etwa 33 Prozent reduzieren. Damit steht die gesamte Automobilindustrie vor einem substanziellen Wandel.
An einer rechtzeitigen und aktiven Übergangsplanung hin zu Elektromobilität arbeiten OEMs und Zulieferer derzeit aktiv. In den nächsten Jahren muss sich jedoch die gesamte Industrie aktiv damit beschäftigen, denn damit lassen sich zwischen 40 und 60 Prozent der global abgeschätzten Restrukturierungskosten in Höhe von 70 Mrd. Dollar einsparen.
Neben dem Ausbau der E-Mobilität werden die Autohersteller auch ihre Geschäftsmodelle überarbeiten. Eine Möglichkeit hierzu ist das vermehrte Angebot von Abo-Services. So können Autobesitzer bestimmte Dienstleistungen für ihr Fahrzeug wie temporärer Versicherungsschutz, over-the-air-updates, etc. für eine bestimmte Zeit buchen, ohne beim Fahrzeugkauf bereits den Aufpreis dafür zu zahlen. So können diese Services über das Internet vom Hersteller in situ freigeschaltet und wieder gesperrt werden, ohne dass ein Werkstattbesuch nötig ist.
Fazit
Führende Autohersteller in China und Europa kämpfen mit den Auswirkungen der aktuellen Teileversorgung und dem Wechsel vom Verbrenner hin zu batterieelektrischen Fahrzeugen (BEV). Für das Jahr 2022 wird weltweit ein Absatzrückgang auf 78,9 Millionen Fahrzeuge erwartet. Aufgrund der Fahrzeugknappheit bei hoher Nachfrage haben die OEMs die Zulieferer bei der Marge überholt, da sie die Preise anheben konnten.
Dagegen verdoppeln wird sich der weltweite Absatz batterieelektrischer Fahrzeuge. Doch auch im E-Segment sind steigende Rohstoffkosten ein bestimmendes Thema und lassen nach jahrelangem Sinkflug die Kosten für Batterien steigen.
OEMs setzen in Zukunft auf alternative Batterie-Optionen, um die Abhängigkeit von einzelnen Rohstoffen zu reduzieren. Ferner steht die Zentralisierung der Software im Vordergrund. OEMs werden in Zukunft neben der Hardware auch zum Softwarehersteller und damit zum direkten Konkurrenten der reinen Techfirmen.
Durch den raschen Wechsel vom Verbrenner zum batterieelektrischen Fahrzeug kann sowohl für OEMs als auch für Tier-1-Zulieferer eine rechtzeitige, aktive Übergangsplanung ihrer Zulieferbasis zwischen 40 und 60 Prozent ihrer zukünftigen Restrukturierungskosten sparen.
Die gesamte Branche steht vor einem substanziellen Wandel und sucht nach neuen Lösungsansätzen.
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