In der aktuellen Ausgabe widmen wir uns der Automobilindustrie im Hinblick auf eine mögliche Rezession. Dabei legen wir den Fokus auf die Herausforderungen für Zulieferer, die neben dem Preisdruck von OEMs und Kostensteigerungen in der Supply Chain, auch dem Transformationsdruck hin zur Elektrifizierung ausgesetzt sind. Nach vorne gerichtet beschreiben wir mögliche kurz- und mittelfristige Maßnahmen, die zu einem sicheren Navigieren durch die Krise führen können. Das Wichtigste in Kürze:
- Wirtschaftsindikatoren deuten auf eine mögliche bevorstehende Rezession hin – noch ist aber unklar, wann, mit welcher Intensität und wie lange sie die Automobilindustrie treffen wird.
- In unsicheren Zeiten profitieren wie immer diejenigen, die gut vorbereitet sind. Dabei sollten verschiedene Szenarien für 2023 betrachtet werden.
- OEMs profitieren weiter: Trotz Verkaufszahlen deutlich unter Vorkrisenniveau wird die Profitabilität weiter auf hohem Niveau bleiben, hauptsächlich getrieben durch Fokus auf den Verkauf von margenstarken Produkten, gepaart mit weiteren Preiserhöhungen und der Reduktion von Rabatten
- Zulieferer dagegen stehen vor einer doppelten Herausforderung:
- Sie befinden sich in einer Sandwichposition – die Umsätze sind direkt abhängig von den Verkaufszahlen der OEMs aber zeitgleich werden ihre Margen durch den hohen Preisdruck ihrer eigener Zuliefererseite in die Zange genommen.
- Der Wandel der Industrie hin zur Elektrifizierung zwingt die Zulieferer dazu, jetzt zu handeln, eine Verschiebung der Transformation ist keine Option, will man den Anschluss nicht verlieren. Gestiegene Kapitalkosten können die Investitionen in die notwendige Transformation allerdings behindern.
- Eine Reihe von kurz- und mittelfristigen Maßnahmen können Zulieferern helfen, sicher durch die Krise zu navigieren.
Wirtschaftsindikatoren zeigen Rezession an
Noch ist unklar, wann, mit welcher Intensität und wie lange eine Rezession auftreten wird. Derzeit deuten zahlreiche Wirtschaftsindikatoren auf eine bevorstehende, inflations-bedingte Rezession hin:
- Das maximale Preisniveau der Rohstoffe ist für viele Commodities erreicht. Die Inflation verlangsamt sich, exzessiver Bestand und Spekulationen werden zurückgefahren. Einige Rohstoffpreise sind bereits rückläufig, dennoch weiterhin deutlich über ihrem Vorkrisenniveau.
- Die Preise für Energie und Transport werden dagegen weiterhin auf hohem Niveau bleiben oder sogar weiter steigen: die Prognose für Brent Crude Oil soll im 3. Quartal 2023 20% P über Ende November 2022 liegen, EU Natural Gas sogar 40% (Quelle: Trading Economics).
- Die Lohnkosten steigen in Deutschland zeitversetzt zu den Commodity-Preisen. Erst kürzlich erzielte die IG Metall einen Abschluss mit 5,2% (2023) & 3,3% (2024) +3000EUR Einmalzahlung; Verdi fordert 15% bei der Deutschen Post – Anders als bei den Rohstoffpreisen bleiben die Lohnkosten aber auf diesem höheren Niveau. Auch in anderen Ländern steigen Lohnkosten rasant an, unter anderem auch in „best cost countries“ wie zum Beispiel Rumänien: +4.54% in den letzten 3 Monaten, +13.04% in den letzten 12 Monaten(Quelle: www.theglobaleconomy.com/rankings/labor_cost/).
- Die anhaltende Inflation führt zu starken Zinssteigerungen als Gegenmaßnahme:
- EZB: Leitzins wurde um weitere 50pp auf 2,5% angehoben (zum Vergleich: während der Finanzkrise 2008 rangierte der Leitzins bei 4% - ausgehend von 2% in den Jahren bis 2005). Im Zuge der Zinserhöhungen sank die Teuerungsrate im Euroraum im November auf 10% (nach 10,6% im Oktober).
- FED: siebte Erhöhung seit März 2022 um 50pp auf 4.25-4.5% (Dezember 22) und damit auf den höchsten Wert seit 2007
- Immerhin schwächte sich die Teuerungsrate in den USA im November zuletzt auf 7,1% ab (Oktober 7,7%).
Als frühzyklische Indikatoren einer Rezession gelten dabei:
- Halbleiter: Starker Rückgang der Nachfrage in anderen Branchen
- Stahlpreise, die sich seit dem Erreichen des Peaks im März 2022 wieder halbiert haben
- Reduzierte Auftragseingänge in einigen Branchen (z.B. Saison- und kalenderbereinigter Rückgang der Auftragseingänge im verarbeitenden Gewerbe um 4% im September 2022) (Quelle: www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/11/PD22_465_421.html)
- Inverse Zinskurven für Staatsanleihen, d.h. kurzfristige Anleihen rentieren sich mehr als langfristige Anleihen, die weitere kurzfristige Zinserhöhungen antizipieren
Auswirkungen einer möglichen Rezession auf die Automobilindustrie
Für die Automobilindustrie muss die die Rezession nicht nur ein Schreckgespenst sein, sondern bietet besonders bei ausreichender Vorbereitung auch Chancen für Marktteilnehmer.
OEMs werden weiterhin profitieren. Zwar werden voraussichtlich Verkaufszahlen auf Vorkrisenniveau bis 2025 nicht erreicht werden (unter anderem aufgrund nur langsamer Entspannung bei der Versorgung mit Halbleitern). Nichtsdestotrotz können OEMs zuversichtlich in die Zukunft blicken und sich weiter auf das margenträchtige Geschäft konzentrieren (Macht zu Handeln).
Zulieferer sind hingegen in einer Sandwichposition: Sie sind direkt abhängig von den Absätzen (Volumen und Produktmix) der OEMs und haben keine Möglichkeit die Preisgestaltung zu beeinflussen. Bei den OEMs sind keine Anzeichen sichtbar, dass sie den hohen Preisdruck auf die Zulieferer zurücknehmen, da sie ihre eigene Profitabilität absichern müssen. Gleichzeitig werden die Zulieferer von ihrer eigenen Lieferkette in die Zange genommen, indem Kostensteigerungen durch Material- und steigende Personalkosten durchgereicht werden.
Nur wenige Lieferanten mit angehäuften hohen Cash-Reserven (Fokus auf Preise und Verhandlungen) werden eine mögliche Rezession einfach aussitzen können. Bei allen anderen, vor allem bei bereits oder noch immer in Schieflage befindlichen Lieferanten, ist ein voller Fokus auf Cash notwendig.
Elektrifizierung zwingt zur Transformation
Der Wandel des Marktes hin zur Elektrifizierung zwingt die Industrie, jetzt zu handeln. Besonders traditionelle Zulieferer mit starkem Fokus auf Komponenten des Verbrennungsmotors werden immer mehr dem steigenden Druck ausgesetzt sein. Insbesondere in China erreichen die Verkaufszahlen elektrifizierter Fahrzeuge immer weitere Rekordstände (1.5 Millionen verkaufte batterie-elektrische Fahrzeuge in Q3 2022, +94% gegenüber Q3 2022) und auch in den USA ist der Trend hin zu BEVs mittlerweile deutlich zu erkennen (210.000 verkaufte batterie-elektrische Fahrzeuge in Q3 2022, damit ein Marktanteil von knapp 6% an den gesamten Verkaufszahlen). Auch Europa hat mit einer leichten Verschnaufpause in 2022 (355.000 verkaufte batterie-elektrische Fahrzeuge in Q3 2022, +9% ggü. Vorjahr) ein Level erreicht, welches vor 2-3 Jahren in den meisten Businessplans so nicht absehbar war.
Durch die global voranschreitende Transformation zur Elektromobilität ist der Bedarf an Komponenten und Innovation in diesem Bereich dementsprechend stark angestiegen. Trotz der Anforderungen durch EURO7, wird kaum noch in die Entwicklung reiner Verbrennertechnologie investiert. Die Lösung ist in den allermeisten Fällen die Elektrifizierung.
Bei den reinen Verbrennern ist zudem der Trend hin zum Downsizing klar zu erkennen. Prestigeträchtige Fahrzeuge mit 6, 8 oder gar 12 Zylindern weichen heute kleineren, aufgeladenen 4-Zylindern, um Abgasnormen zu erfüllen. Dies bedingt eine weitere Reduktion des Geschäfts für Zulieferer von Verbrennerkomponenten.
Die aktuell gestiegenen Kapitalkosten können die notwendigen Investitionen in die Transformation allerdings ausbremsen und behindern, was den Handlungsspielraum der Zulieferer weiter einengt.
Kurz- und mittelfristige Maßnahmen
Aus Covid heraus waren die Businesspläne in der Autoindustrie auf schnelles Wachstum beziehungsweise Erholung zumindest auf Vorkrisenniveau ausgelegt. Kostenstrukturen wurden dahingehend nicht radikal verändert, auch wenn einige Zulieferer (Anm: IFA, Benteler, Leoni) bereits in 2019 in die Restrukturierung gegangen sind. Einige Unternehmen haben die Zeit auch genutzt, um sich strategisch zu fokussieren, beziehungsweise auf die sich durch die Coronakrise stark beschleunigte Elektrifizierung des Antriebsstranges einzustellen (Mann+Hummel).
Unsere Projekterfahrung mit Unternehmen, die mit ähnlichen wirtschaftlichen Herausforderungen wie der nahenden Rezession konfrontiert waren, zeigt, dass folgende Maßnahmen und die Vorbereitung darauf zu einem sicheren Navigieren durch die Krise führen können. Ein Szenario-basierter Planungsansatz für die kommenden Monate ist dabei essenziell, um bei einer tatsächlichen Rezession schnelle Entscheidungen auf Basis vorbereiteter Alternativen treffen zu können.
Kurzfristige Maßnahmen:
- Voller Fokus auf Cash mit Hilfe eines Cash Control Rooms. Ziele sind die:
- Absicherung der Liquidität für kriselnde Zulieferer durch Fokus auf Payables, Receivables und Inventory (Working Capital Management, End-to-end Claim Management)
- Absicherung der Mittel und Budgets für mögliche Investitionen und Zukäufe
- Ausreizung öffentlicher finanzieller Hilfswerkzeuge (z.B. Kurzarbeit, Subventionen für Energie)
- Striktes Portfoliomanagement (Produkte, Projekte, Initiativen, CAPEX, Auslastung der Werke bis hin zum Ramp-down Management)
- Besonderer Fokus auf Supply Chain Resilience (Supplier Performance Management, Sub-Supplier Risk Assessment zum frühzeitigen Erkennen von Ausfällen)
- Proaktive Kommunikation mit Fremdkapitalgebern zur Absicherung der Finanzierung und wichtigsten Kunden zur Reduktion von Forderungen
Mittelfristige Maßnahmen mit unmittelbarer Vorbereitung:
- Nachhaltige Reduktion der Fixkosten (Overhead, Backoffice, optimierter direkter/indirekter Footprint, Make vs. Buy)
- Strategisches Portfoliomanagement: eventuell Abstoßen von Legacy Geschäft (schnelle strategische Entscheidung), Neuausrichtung/Transformation auf „neues“ Geschäft (Powertrain, Software, Connectivity)
- Mögliche Chancen nutzen, den eigenen Marktanteil zu vergrößern (M&A, share of wallet erhöhen (bei dual sourcing Produkten), Legacy Geschäft übernehmen)
- Fokussierung der HR-Strategie als Antwort auf den “War for Talents” (Antizipation zukünftiger Profile und Kapazitäten für die Transformation hin zur Elektrifizierung des Antriebsstranges)
Fazit
Ähnlich wie in der Covid-Krise ist das Motto „Cash ist King“ zurück. Dies ist für alle Autozulieferer relevant, um Liquiditätsengpässen vorzubeugen oder um gegebenenfalls bei Zukäufen tätig zu werden. Die jetzige Vorbereitung von Szenarien für 2023 ist essenziell, um schnelle Entscheidungen in einer sich verschärfenden Krise treffen zu können. Automobilzulieferer, die durch ihre aktuelle Sandwichposition zwischen OEMs und Inflation und dem Transformationsdruck durch die Elektrifizierung vor einer doppelten Herausforderung stehen, müssen sehr konsequent und schnell handeln.
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