Die finanzielle Lage vieler Zulieferer hat sich in den vergangenen Jahren massiv verschlechtert. Hintergrund sind seit mehreren Jahren ansteigende Kosten und abnehmende Produktionsvolumen. Die wichtigsten Entwicklungen im Überblick:

  • 2018/2019: Globale Handelskonflikte verschärfen sich und führen zu höheren Importzöllen. Höhere Einkaufskosten sowie ungedeckte Fixkosten aufgrund einer abnehmenden Fahrzeugproduktion sind die Folge.
  • 2020: Im Zuge der Corona-Lockdown-Maßnahmen bricht die Fahrzeugproduktion weltweit ein. Eine weitere Erhöhung von ungedeckten Fixkosten folgt. Stückzahl-Planungen werden angepasst, was zu einem späteren Halbleitermangel und einem Zerwürfnis der Logistikkette führt.
  • 2020/2021: Ein dynamischer gesamtwirtschaftlicher Nachfrageanstieg führt zu einer rapiden Erhöhung der Logistik- und Rohmaterialkosten. Aufgrund der globalen Knappheit der Rohstoffe und Komponenten, werden trotz hoher Nachfrage weniger Fahrzeuge produziert. Es kommt zum Preisanstieg der Fahrzeuge. 
  • 2021-2023: Der Inflationsanstieg als mittelbare Folge der Pandemie treibt die Lohnkosten sowie sonstige betriebliche Aufwendungen in die Höhe. Kostensteigerungen sind nicht mehr rein temporäre Effekte, sondern verfestigen sich in den Wertschöpfungsketten.
  • Als Folge des Ukrainekriegs steigen die Energiekosten überproportional, vor allem in Mittel- und Osteuropa.
  • Steigende Leitzinsen als Reaktion auf die hohe Inflation sowie restriktivere Kreditvergaben führen zu höheren Finanzierungskosten.

 Vor dem Hintergrund aktueller geopolitischer Spannungen ist mittelfristig weiterhin keine Entspannung in Sicht. So vielfältig wie die Herausforderungen für die Zulieferwelt sind, so umfangreich sollte auch die Antwort der Zulieferer aussehen. Ein ganzheitlicher Lösungsansatz mit den folgenden Maßnahmen sollte dringend umgesetzt werden:

  1. Dauerhafte Preiserhöhungen: Die über mehrere Jahre abgeschlossenen Preisvereinbarungen mit den Autoherstellern (OEMs) passen nicht mehr zur neuen Kostenrealität. Zulieferer können die vielfältigen Kostensteigerungen allein durch interne Optimierungen nicht kompensieren.
  2. Operative und strukturelle Verbesserungen: Zur Sicherstellung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit muss die aktuelle Kostenbasis umfangreich optimiert werden. Denn nur die wenigsten Zulieferer werden eine vollständige Weitergabe der Kostensteigerungen an ihre Kunden erreichen. Wesentliche Hebel sind unter anderem: 
    • Einkaufsoptimierung
    • Footprintoptimierung
    • Effizienzverbesserungen
    • Reduktion von Overhead-Kosten
    • Working Capital Optimierung
  3. Schaffung eines Inflationsbewusstseins: Die Organisationen selbst müssen sich der dauerhaften Kostensteigerungen bewusst sein, damit Preise regelmäßig überprüft und nachverhandelt werden und interne Kosten optimiert werden

Europäische Automobilzulieferer stehen unter Druck

Die finanzielle Situation der europäischen Automobilzulieferindustrie hat sich in den vergangenen Jahren bereits vor der Coronakrise schrittweise verschlechtert. Zwar haben sich Rendite und Verschuldung in 2021 kurzzeitig wieder verbessert, doch das historische Niveau aus den Jahren 2016-2018 konnte nachhaltig nicht wieder erreicht werden.


Durch das für die Zulieferer gefährliche Zusammentreffen aus anhaltenden Kostensteigerungen entlang der meisten Kostenarten, welche aktuell insbesondere in Europa zu verzeichnen sind, sowie durch ein weiterhin niedriges Produktionsniveau verschärft sich diese Lage weiterhin.

Zulieferer, die sich an die neuen Gegebenheiten nicht optimal anpassen, werden dem Trend durch eine weitere Reduktion ihrer Profitabilität und einen weiteren Anstieg ihrer Verschuldung fortsetzen. Diesen Unternehmen droht eine akute Liquiditätskrise aufgrund von Kündigungen von Finanzierungen, sollten beispielsweise Financial Covenants nicht mehr eingehalten werden oder aufgrund des Scheiterns einer anstehenden Refinanzierung. Zumindest können Kapitalkosten sowohl aufgrund einer höheren Risikobewertung als auch aufgrund des allgemein höheren Zinsniveaus steigen. Folglich verschlechtert sich die Ertragssituation noch weiter. Es fehlt an finanziellen Mitteln für notwendige Investitionen in die eigene Wettbewerbsfähigkeit. In der Folge kann die Profitabilität schrittweise weiter sinken – ein Teufelskreis.

Aktuelle Kostensteigerungen 

Im Zuge der Lockdownmaßnahmen während der Coronapandemie führten kurzfristige, temporäre Werksschließungen weltweit zu kurzfristigen Abrufschwankungen bei den Zulieferern. Antizipierte Aufholeffekte traten jedoch nie ein, da sich das Problem von Abrufschwankungen wegen Materialmangels insb. im Bereich der Computerchips nur vergrößerte. Neben weiteren Effekten führte vor allem ein sprunghafter Anstieg der wirtschaftlichen Erholung ab Ende 2020 zusätzlich zu stark steigenden Seefracht- und Rohmaterialkosten. Die aktuelle Inflationsdynamik betrifft nun vor allem europäische Unternehmen. Denn gerade in Europa wirken zurzeit Kostensteigerungen auf einer großen Bandbreite: 

1. Nahezu alle operativen Kosten steigen nachhaltig: Lohn- und Energiekosten sowie allgemeine Inflationseffekte bei sonstigen betrieblichen Aufwendungen belasten die gesamte Wertschöpfungskette. Zwar sind Seefrachtkosten aktuell wieder rückläufig, doch zeigt sich bei Landfrachten ein anderes Bild, die ebenfalls bedingt durch Lohnkosten- und Steigerungen der Fuhrparkkosten anziehen. Rohstoffkosten nehmen sukzessive ab, stabilisieren sich jedoch nachhaltig oberhalb des Niveaus vor Corona. Vereinzelt ist ein erneuter Anstieg insbesondere bei Kunststoffen aufgrund des Ölpreisanstiegs im Zuge des Israelkonflikts zu erwarten.

 

Die über mehrere Jahre abgeschlossenen Preisvereinbarungen mit den Autoherstellern passen somit nicht mehr zur neuen Kostenstruktur. Dies gilt vor allem für die früheren Niedriglohnländer in Osteuropa. Denn gerade diese Länder verzeichnen besonders hohe Inflationsraten und somit insbesondere hohe Lohnkostensteigerungen.

2. Die Zinspolitik der EZB als Antwort auf die hohe Inflation führt zu einem starken Anstieg der Finanzierungskosten der Unternehmen. Vor allem das Working Capital- und investitionsintensive Geschäftsmodell von Zulieferern ist hiervon signifikant betroffen. Zudem verteuern sich Refinanzierungen nicht nur wegen des höheren Zinsumfelds, sondern auch aufgrund der schlechteren finanziellen Lage der Unternehmen, die zu einer höheren Risikoeinstufung bei den Finanzierern führt und dadurch zusätzlich zu höheren Finanzierungskosten beiträgt.


3. In Europa werden sich die Verkaufszahlen leicht erholen, jedoch in den kommenden Jahren signifikant unter dem Niveau vor Corona stabilisieren. Den aktuellen Teilepreisen liegen jedoch Kostenkalkulationen mit deutlich höheren Stückzahlen zugrunde. Entsprechende Leerkosten sind die Folge, welche jetzt mit den Kunden neu verhandelt werden müssen.


4. Neue Trends, Pflichten und Zertifizierungen wie ESG oder das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz führen zu einer weiteren Kostensteigerung in Zulieferunternehmen, unter anderem aufgrund zusätzlicher Maßnahmen und höherem bürokratischen Aufwand ohne signifikante Veränderung der Topline als Gegengewicht.

Zulieferer müssen sich jetzt mit einem ganzheitlichen Programm auf die neue Situation einstellen
Zwar führt die aktuelle Zinspolitik der EZB zu einem Rückgang der Inflation, jedoch ist in den kommenden Monaten nicht damit zu rechnen, dass das Ziel von 2% Inflation im Euroraum erreicht wird.
 


Zudem birgt der aktuelle Israelkonflikt weiteres Potential für Kostensteigerungen. Es bleibt somit zu erwarten, dass das Kostenumfeld für Zulieferer weiterhin dynamisch bleibt.

Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass Zulieferer ihre Kostensteigerungen selten vollständig an die OEMs weiterreichen können. Sie sollten sich daher mit einem ganzheitlichen Programm auf die neue Situation einstellen. Dabei empfehlen sich die folgenden drei Stoßrichtungen:

1. Preiserhöhungen: 

Die vertraglichen Rahmenbedingungen zwischen Kunde und Lieferant unterscheiden sich grundsätzlich zwischen Tier-1 Zulieferern und ihren Sublieferanten. Hieraus ergeben sich unterschiedliche Handlungsspielräume, um Preiserhöhungen umzusetzen.

Zulieferer ab Tier-2 haben selten feste Preisvereinbarungen über die Laufzeit eines Fahrzeugmodells mit ihren Kunden vereinbart. Entsprechend einfach ist es, aus vertraglicher Sicht Kostensteigerungen weiterzugeben. Zwar besteht grundsätzlich das Risiko einer Verlagerung des Tier-1 Kunden an andere Unterlieferanten, doch stehen dem häufig hohe Verlagerungskosten sowie ein langer Zeithorizont, insbesondere bei laufender Serienproduktion, entgegen.

Tier-1 Zulieferer sind hingegen zumeist mit einem engen vertraglichen Korsett konfrontiert, das häufig eine Preisbindung bis Ende der Produktionslaufzeit eines Fahrzeugs vorsieht. Ordentliche Kündigungsmöglichkeiten bestehen in der Regel nur für die OEMs. Zwar existieren im Markt teilweise Vereinbarungen über regelmäßige Preisanpassungen bei bestimmten Rohstoffentwicklungen, diese spiegeln jedoch die aktuellen Kostensteigerungen über die oben genannten Kostenarten nicht annähernd wider. Die Unternehmen sind somit abhängig von der Bereitwilligkeit der Autohersteller, höhere Preise zu akzeptieren oder andere Formen von Kompensationen zu leisten.

Ein wesentlicher Erfolgsfaktor in diesem Rahmen ist Transparenz über die Änderung der Kostenstruktur für die betroffenen Produkte. Unter Umständen kann auch Klarheit über die finanzielle Situation des Unternehmens beim Verhandlungsprozess helfen, sofern die Lage so prekär ist, dass die Teileversorgung für den Kunden auf dem Spielt steht. Ein besonderer Fokus sollte hier auf einem effektiven Projekt- und Vertriebscontrolling liegen.

2. Operative Maßnahmen: 

Preiserhöhungen wirken vor allem kurz- und mittelfristig. Langfristig müssen Zulieferer aller Wertschöpfungsstufen ihre Kostenstruktur einer kritischen Überprüfung unterziehen und dahingehend optimieren, dass sie auch zukünftig wettbewerbsfähig für die Akquisition von Neuaufträgen sind und die Verlagerung laufender Serienprojekte an Wettbewerber keine wirtschaftliche Option für die Kunden ist.

OEMs werden nur diejenigen Zulieferer unterstützen, die eine Perspektive für eine dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit aufzeigen und sich somit als langfristiger Partner qualifizieren. Umfassende operative und strukturelle Verbesserungen erhöhen somit einerseits den Erfolg von aktuellen Preisverhandlungen, führen aber ebenfalls durch die Verbesserung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit mit all seinen Auswirkungen (Perspektive für Neuaufträge, finanzielle Mittel für z.B. Neuentwicklugen, M&A, Dividenden, Kompensation / Ausbildung der Mitarbeitenden, etc.). Aus diesem Grund sollten auch Zulieferer unterhalb Tier-1 umfassende operative und strukturelle Maßnahmen umsetzen.

Aufgrund der Vielfältigkeit der aktuellen Kostensteigerungen müssen operative Maßnahmen ebenso vielfältig sein und die gesamte Kostenstruktur adressieren. Hervorzuheben sind dabei folgende Hebel, die direkt an den oben beschriebenen Kostentreibern ansetzen: 

  • Einkaufsoptimierungen 
  • Effizienzsteigerungen und Erhöhung des Automatisierungsgrads in den Werken
  • Review und Streamline des Werksportfolios 
  • Kostensenkungen in den Zentralfunktionen, unter anderem auch durch selektive Verlagerungen und Digitalisierung/Automatisierung 
  • Striktes Kosten-/Nutzenreview und ggfs. Minimierung von Investitionen
  • Optimierung des Working Capitals

3. Inflationsbewusstsein: 

Alle Bereiche des Unternehmens sollten in der aktuellen Situation ein Bewusstsein für dauerhafte Kostensteigerungen entwickeln. Konsequent umgesetzte Verbesserungsmaßnahmen in allen Unternehmensfunktionen werden notwendig. Voraussetzung hierfür ist ein qualitativ hochwertiges Controlling, das die einzelnen Managementebenen bei der Steuerung ihrer Geschäftsbereiche unterstützt. Hierzu zählen sowohl geeignete Reportings, die Transparenz über die Kosten- und Ertragssituation schaffen, als auch Freigabeprozesse und Incentivierungen, die die Optimierung der Kosten- und Ertragssituation fördern.

Ausgehend vom Top-Management sollten geeignete Kennzahlen und eindeutige Ziele bis hinunter auf einzelne Kostenstellen definiert sein und als Entscheidungsgrundlage dienen. Zusammen mit einer engen Einbindung der Finanzfunktionen in die wesentlichen operativen Funktionen des Unternehmens kann sichergestellt werden, dass alle Geschäftsbereiche an einer laufenden Optimierung arbeiten.

Mögliche Maßnahmen, die eine verbesserte, vom Controlling gestützte, Unternehmenssteuerung auszeichnen sind beispielsweise: 

  • Deckungsbeitragsorientierte Freigabeprozesse für Angebote
  • Kennzahlenbasierte Lieferantenbewertungen und Lieferantenauswahl
  • Bewertung von Unternehmensentscheidungen anhand von langfristigen Business Plänen
  • Design to Cost bei der Entwicklung von Neuprojekten
  • Regelmäßige Nachkalkulationen für laufende Projekte
  • Transparenz über die aktuellen Kundenabrufe

Fazit

Die aktuelle Inflationsentwicklung belastet Zulieferer über nahezu alle Kostenarten hinweg. Lösungen, die vergangenes Jahr noch gemeinsam mit Kunden getroffen wurden, reichen mittlerweile nicht mehr aus, um Kostensteigerungen zu kompensieren. 

Zulieferunternehmen müssen jetzt die aktuelle Kostenentwicklung aktiv mit einem umfassenden und radikalen (disruptiven) Maßnahmenkatalog angehen, denn sie können die Kostensteigerungen nicht allein durch die üblichen Effizienzmaßnahmen tragen. Durch übermäßige Kosteninflation gerechtfertigte Preiserhöhungen sind daher zwingend notwendig durchzusetzen. Außerdem werden flankierende operative und strukturelle Maßnahmen notwendig, um die mittel- bis langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens sicherzustellen. Ein vollständiges Weiterreichen der Kostensteigerungen an die Kunden wird schwierig zu verhandeln und fördert zudem Verlagerungen durch die Kunden hin zu Wettbewerbern. Außerdem sollte ein Bewusstsein für die aktuelle Kostendynamik, unter anderem mittels Erweiterung bestimmter Controllingfunktionen (bspw. Vertriebs- und Projektcontrolling), geschaffen werden, betriebliche Steuerungsprozesse angepasst und eine Änderung des Verhaltens im gesamten Unternehmen hin zu einem Kosten- und Profitabilitätsdenken angestrebt werden.

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