Auf dem Weg zum autonomen Fahren sind noch einige Schritte zu gehen
In der aktuellen Ausgabe widmen wir uns der Zukunft des autonomen Fahrens sowie den Herausforderungen und nötigen Schritten auf dem Weg dorthin. In welcher Reihenfolge wird die Entwicklung hin zum autonomen Fahren ablaufen und was bremst sie aktuell noch? Die wichtigsten Informationen in Kürze:
- Eine breite Marktdurchdringung (> 30%) von Level 4 und 5 Fahrzeugen wird durch eine Reihe von Herausforderungen um weitere Jahre verzögert
- Level 2 und Level 3 Systeme sind bei kleinen Stückzahlen im Durchschnitt 1,4x teurer als die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft. Bei zukünftig großen Stückzahlen werden sie jedoch 0,8x günstiger sein als die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft
- Eine voranschreitende Regulierung könnte weitere Wachstumsimpulse setzen und sicherheitserhöhende Level 2 Funktionen zur segmentübergreifenden Massenware machen. Komfortfunktionen bleiben vorerst im Luxus- und Premium-Segment
- Bis 2030 wird der globale Markt für Advanced Driver Assistance Systems (ADAS) inklusive Level 3 auf rund 61 Milliarden Euro wachsen
- Der Strategieschwenk von Kern-Akteuren weg vom „Leap Frog Ansatz“ zu einer „schrittweisen“ Entwicklung zu Level 4 und 5 deutet ebenfalls in diese Richtung
- Entwickeln sich die aktuellen Herausforderungen für Level 4 und 5 positiv, kann für hoch- und vollautomatisierte Systeme bis 2030 ein signifikantes Zusatzpotenzial von 22 Milliarden Euro entstehen
Der Weg zum autonomen Fahren ist noch weit
Ambitionierte Zeitpläne für die Etablierung von autonomen Fahrzeugen haben sich immer wieder verschoben. Einst optimistische Vorhersagen einer schnellen Entwicklung zu hoch- beziehungsweise vollautomatisierten Fahrzeugen der Level 4 und 5 halten einem Realitätscheck nicht Stand. Vor allem folgende Gründe bremsen aktuell die Entwicklung:
- Die Technologieentwicklung für Fahrzeuge, um hoch- beziehungsweise vollautomatisierte Fahrten im Mischverkehr auch bei höheren Geschwindigkeiten betriebssicher zu machen, dauert länger als von den Akteuren prognostiziert
- Zudem werden diese Fahrzeuge wahrscheinlich auf V2X-Infrastruktur wie intelligente Verkehrsmanagementsysteme und intelligente Ampeln angewiesen sein – V2X befindet sich aber erst im Teststadium (z.B. seit 2020 Changsha-Schnellstraße in China)
- In Deutschland, China und ausgewählten US-Bundesstaaten wurden regulatorische Rahmenbedingungen für die Erprobung fahrerloser Fahrzeuge auf Straßen bereits geschaffen. Eine Gesetzgebung, die eine Massenkommerzialisierung von Level 4 und 5 ermöglicht, ist aktuell aber noch nicht in Sicht
- Nachrichten über Todesfälle durch selbstfahrende Autos sind ein Rückschlag für eine Industrie, die verspricht, das Autofahren sicherer zu machen und beeinflussen damit die öffentliche Wahrnehmung. Laut AlixPartners Global Autonomous Vehicle Consumer Survey sind mehr als 70% der Verbraucher (Umfrage in Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, China und USA) besorgt über Fehlfunktionen in der Soft- oder Hardware bei selbstfahrenden Fahrzeugen
- Hardware-Systemkosten für Level 4 und 5 für kleine Serien liegen rund 4,6x über der durchschnittlichen Zahlungsbereitschaft, bei zukünftig großen Serien immerhin noch rund 1,7x darüber
- Die zunehmende Dynamik in der Elektrifizierung der Antriebsstränge hat zur Umverteilung von Forschungs- und Entwicklungsbudgets geführt, um das Kerngeschäft „Automobil“ abzusichern.
Diese Herausforderungen führen dazu, dass der breite Einsatz von autonomen Fahrzeugen aktuell noch einige Jahre entfernt ist. Der kontrollierte Einsatz in wenigen kommerziellen Bereichen kann früher erwartet werden (Grafik 1).
Der Massenmarkt konzentriert sich vorerst auf Level 2 bis 3
Eine Teil- beziehungsweise bedingte Automatisierung (Level 2 und 3) ist technisch bereits heute möglich. Level 2-Funktionen dienen vor allem der Erhöhung der Sicherheit und bieten eine gewisse Erleichterung beim Fahren. Im Kern handelt es sich um hochentwickelte Fahrerassistenzfunktionen, wie Notbrems- oder Spurhalteassistenten, nicht um Fahrfunktionen für selbstfahrende Fahrzeuge. Der Fahrer bleibt kontinuierlich ins Fahrgeschehen eingebunden – zumindest in einer „Überwachungsfunktion“ der Fahrumgebung („Driver in the Loop“).
Level 3-Funktionen unterscheiden sich hiervon wesentlich, da der Fahrer nicht mehr ständig eingebunden ist. Hierdurch erhöht sich der Fahrkomfort, gleichzeitig steigen aber auch die Kosten: Neben Fahrzeugsensorik, -aktuatorik und mehr Rechenleistung sind aufwendigere Mensch-Maschine-Schnittstellen (Human-Machine-Interfaces, HMI) zur Fahrerüberwachung und schnellen Übertragung der Fahraufgabe an den Fahrer erforderlich. Aufgrund der höheren Kosten gegenüber Level 2-Systemen geht der Trend aktuell noch dazu, möglichst viele Funktionen in einem angereicherten Level 2, genannt Level 2,5 oder Level 2+, abzubilden.
Die AlixPartners Autonomous Vehicles Consumer Survey zeigt beim Vergleich von Kosten und Zahlungsbereitschaft, dass sich sowohl Level 2 als auch Level 3-Systeme im Zielkorridor voran bewegen: Level 2 und Level 3-Systeme sind bei kleinen Stückzahlen im Durchschnitt heute noch 1,4x teurer als die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft. Bei zukünftig großen Stückzahlen werden sie jedoch sogar 0,8x günstiger als die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft.
Die Technologieentwicklung für Level 4 und 5 erfolgt schrittweise
Systeme der Level 4 und 5 sind bei kleinen Stückzahlen im Durchschnitt 4,8x teurer als Level 2,5. Selbst bei zukünftig großen Stückzahlen werden sie immer noch rund 3x teurer sein. Eine profitable Marktdurchdringung ist bei Level 2 und 3 also greifbarer als bei Level 4 und 5. Das bestätigt auch der Strategieschwenk von Kern-Akteuren weg vom „Leap Frog Ansatz“ zu dem bereits weitverbreiteten „schrittweisen Ansatz“.
Regulierung setzt Wachstumsimpulse für Level 2-Funktionen
Während die aktuelle Regulierung auf Fahrfunktionen der Level 4 und 5 noch bremsend wirkt, kann sie insbesondere bei Level 2-basierten Fahrerassistenzfunktionen mit Sicherheitsbezug zur weiteren Marktdurchdringung beitragen. Als Reaktion auf EU-Vorschriften oder Euro NCAP-Tests (New Car Assessment Program) werden zusätzliche Sicherheitsfunktionen voraussichtlich verpflichtend. Diese Funktionen benötigen überwiegend die gleiche Hardware wie die meisten Level 2-Systeme und bewähren sich bereits auf der Straße. Eine voranschreitende Regulierung könnte weitere Wachstumsimpulse setzen und sicherheitserhöhende Level 2-Funktionen zur segmentübergreifenden „Massenware“ machen, wie bereits beispielsweise beim Abbiege- oder Notbremsassistenten.
Komfortsteigernde Level 2-Funktionen, wie beispielsweise der Abstandsregeltempomat, sind auch bei den Volumenmarken zu finden, bleiben aber voraussichtlich im ersten Schritt vor allem im Premium- und Luxus-Segment führend (Grafik 2). Gleiches gilt für Funktionen, die zunehmend umfangreichere Fahraufgaben übernehmen, wie Level 3 und darüber. Diese bleiben vorerst dem Premium- und Luxus-Segment vorenthalten.
Der ADAS-Markt bis Level 3 wird signifikant wachsen – Level 4 und 5 bieten Zusatzpotenziale
In den nächsten zehn Jahren ist zu erwarten, dass die Kernakteure den schrittweisen Ansatz weiterverfolgen und zunächst die Funktionsplattformen bis Level 3 weiter ausbauen, auch um zeitnah Größeneffekte und Gewinne realisieren zu können. Die parallele Weiterentwicklung externer Faktoren, wie Gesetzgebung und V2X-Infrastruktur, wird eine schrittweise Marktdurchdringung unterstützen und auch die öffentliche Wahrnehmung verändern.
Um lokalen Anforderungen zu entsprechen, werden die Technologien im Fahrzeug in gewissem Umfang an die lokalen, externen Faktoren angepasst werden müssen. Gemeinsame Entwicklung in der Region und für die Region ist daher der Schlüssel, um lokale Märkte zu gewinnen und gleichzeitig Größeneffekte zu realisieren.
Die höhere Marktakzeptanz und größere staatliche Unterstützung (Gesetzgebung, Infrastruktur) in China wird dazu führen, dass dieser Markt ab 2025 die USA und Europa überholt. Für den globalen ADAS-Markt inklusive Level 3 rechnen wir bis 2030 mit einem Marktwachstum auf rund 61 Milliarden Euro (Grafik 3).
Zudem kann für Level 4 und 5 bis 2030 ein signifikantes Zusatzpotenzial von 22 Milliarden Euro entstehen. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die Herausforderungen – von Technologiereife bis Budgetzugang – die den Markt aktuell noch bremsen, positiv entwickeln.
Die Vision vom autonomen Fahren lebt weiter
Der Markt für Fahrerassistenzsysteme wird in den nächsten Jahren deutlich wachsen und schrittweise zu autonomen Fahrzeugen führen. Für Kunden ist vor allem die Erhöhung der Sicherheit, des Komforts und die Möglichkeit, während der Fahrt Zeit für andere Tätigkeiten zu bekommen, attraktiv – insbesondere in Verbindung mit Konnektivität. Nichtsdestotrotz liegt die breite Marktdurchdringung von Fahrzeugen der Level 4+ noch weit in der Zukunft.
Vorerst wird der Fokus vor allem darauf liegen, Kunden Fahrerassistenzfunktionen der Level 2 bis 3 zur Verfügung zu stellen, für die sie bereit sind zu zahlen. Level 2,5 wird automatisiertes Fahren profitabel und massentauglich machen, während Level 3 vorerst im Premium- und Luxussegment Anwendung finden wird.
Fahrzeuge der Level 4+ werden Schritt für Schritt näherkommen. Langfristig wird hoch- und vollautomatisiertes Fahren der Level 4 und 5 neue Geschäftsmodelle für traditionelle Automobilhersteller, -zulieferer und digitale Spieler eröffnen. Der „Leap Frog“ direkt zum autonom fahrenden Fahrzeug ist jedoch nur von wenigen Marktteilnehmern zu erwarten.
Eins ist klar: Die Vision vom autonomen Fahren lebt weiter – die Systeme kommen, wenn auch verspätet, in anderer Schrittfolge und zunächst mit anderen Schwerpunkten als erwartet.
Haben Sie weitere Fragen zur Entwicklung des ADAS-Markts und dem Weg zum autonomen Fahren? Melden Sie sich gern bei unserem Autor des aktuellen Newsletters.
Wir freuen uns, Sie monatlich mit einem speziell für die deutsche Autoindustrie konzipierten Newsletter informieren zu können. Klicken Sie hier, um unseren Auto Newsletter Deutschland zu abonnieren.