Polen, Nordmazedonien, Serbien und Marokko gehören zu den Gewinnern

In der aktuellen Ausgabe widmen wir uns Entwicklungstrends bei der Verlagerung und Neuordnung der europäischen Automobilproduktion. Dafür haben wir sowohl die Daten zur europäischen Gesamtfahrzeugproduktion ausgewertet als auch die der Exporte von Automobilkomponenten europäischer und nordafrikanischer Länder. Die wichtigsten Informationen in Kürze:

  • Deutschlands Anteil an der europäischen Fahrzeugproduktion ist seit 2015 um 6 Prozent-punkte von 28% auf 22% gesunken
  • Beim Anteil an den europäischen Exporten von Automobilkomponenten musste Deutschland ebenfalls einen Verlust um 4% Prozentpunkte von 34% auf 30% hinnehmen
  • Die Gewinner dieser Entwicklung sind zum einen etablierte Länder wie Polen, Rumänien und Ungarn, zum anderen „Newcomer“ wie Nordmazedonien, Serbien und Marokko
  • Die „Newcomer“ wuchsen vor allem in den Bereichen Leistungselektronik, Kabelsätze und Sitze
  • Die etablierten Länder haben unterschiedliche Schwerpunkte ausgebildet, sowohl mit traditionellen Komponenten im Antriebsstrang oder Chassis, als auch mit neueren Komponenten wie Akkumulatoren und Infotainment

Deutsche Vorherrschaft bei der Automobilproduktion schrumpft

Die letzten Jahre zählen nicht zu den rosigsten in der europäischen Automobilindustrie. Bei der Gesamtfahrzeugproduktion gab es in einem insgesamt schrumpfenden Markt kaum absolute Gewinner. Es gibt jedoch Verschiebungen bei den Anteilen der Länder am PKW-Produktionsvolumen (Siehe Grafik 1).

Deutschland als traditionell größtes Produktionsland ist am meisten betroffen und musste in den letzten fünf Jahren einen Rückgang seines Anteils an der europäischen Automobilproduktion von 28% auf 22% hinnehmen. Dies entspricht einem Verlust der jährlichen Produktion von 2,3 Millionen Fahrzeugen. Auch wenn hierzulande weiterhin mit Abstand die meisten Fahrzeuge produziert werden, bleibt der Druck auf den Automobilstandort Deutschland hoch.

Auch die traditionellen Herstellerländer Großbritannien und Frankreich verzeichnen beträchtliche Einbußen, verloren jedoch nur 2,1 (Großbritannien) bzw. 1,3 Prozentpunkte (Frankreich) ihres Marktanteils. Die Slowakei, Rumänien, Türkei und Russland zählen dagegen zu den Gewinnern der letzten Jahre und mussten trotz der herausfordernden Gesamtlage keine Produktionsrückgänge hinnehmen. Die geringen Marktanteile dieser Länder sind daher gewachsen.

Deutliche Unterschiede bei der Entwicklung auf Komponentenebene

2020 haben die zehn umsatzstärksten deutschen Automobilzulieferer Werkschließungen oder Produktionsverlagerungen für Deutschland angekündigt. Für verschiedene Komponenten bilden sich dabei unterschiedliche Trends heraus (siehe Grafik 2).

Powertrain-Komponenten waren am wenigsten sensitiv gegenüber Lohnkostenunterschieden. Großes absolutes Wachstum der Exporte konnten hier Länder wie Polen, Rumänien, Italien oder Schweden verzeichnen. Diese vier Länder machten 63% des gesamten Wachstums der letzten vier Jahre aus. Das Lohnkostenniveau im Vergleich zu Deutschland reicht dabei von 75% in Schweden bis zu 18% in Rumänien, im Mittel bei 53%. Die Fertigung von Powertrain-Komponenten ist anlagenintensiv und relativ hoch automatisiert, was eine Verlagerung in ausgeprägte Niedriglohnländer weniger attraktiv macht.

Die Entwicklung des Marktes von Chassis-Komponenten wird vor allem von der Dynamik eines Landes bestimmt: Polen ist für 29% des absoluten Wachstums verantwortlich. Im Mittel liegen die Lohnkosten für Chassis-Komponenten bei 47% im Vergleich zu Deutschland. Zu den Newcomern bei diesen Komponenten zählen Russland, Weißrussland und Serbien.

Größere Lohnkostensensitivität ist bei Interieur/Exterieur und elektrischen Komponenten zu verzeichnen. Das größte absolute Wachstum findet in beiden Komponenten-Gruppen in den etablierten Automobilmärkten Ungarn und Polen statt. Das Lohnkostenniveau beträgt in 2019 46%, respektive 41% von Deutschland. Das größte relative Wachstum findet in den Ländern Marokko, Nordmazedonien, Serbien, Weißrussland und Litauen statt.

Serbien, Nordmazedonien und Marokko sind Gewinnerländer

Die größten relativen Zuwächse können die „Newcomer“ Serbien, Nordmazedonien und Marokko vorweisen (siehe Grafik 3). Die „etablierten Länder“ Polen, Rumänien und Ungarn haben das größte absolute Wachstum außerhalb Deutschlands. Während die „Newcomer“ hauptsächlich bei Kabelsätzen und Leistungselektronik zulegen, wird die Entwicklung in der Gruppe der etablierten Länder vor allem durch Akkumulatoren, Getriebe-, Karosserie- und Infotainment-Komponenten bestimmt (siehe Grafik 4).

Polen entwickelte sich nach Deutschland zum zweitwichtigsten Automobilkomponenten-Exporteur Europas und hat das mit Abstand größte absolute Wachstum vorzuweisen: In den letzten vier Jahren betrug der jährliche Zuwachs an den Exporten von Automobilkomponenten im Mittel 7,8%. Dies übersteigt sowohl das mittlere BIP-Wachstum Polens von 5,5 % als auch das der gesamten Automobilexporte Europas und Nordafrikas von 3,5% in diesem Zeitraum.

Größte absolute Verlierer sind Frankreich und die Slowakei. Während bei Frankreich der Rückgang hauptsächlich durch Interieur-/Exterieur- sowie Antriebsstrang-Komponenten getrieben ist, sind bei der Slowakei Chassis-Komponenten für den Rückgang verantwortlich. Dies ist teilweise auf eine gestiegene inländische Fahrzeugproduktion bei konstanten Importen dieser Komponenten zurückzuführen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Trend zu kleineren osteuropäischen Ländern und Marokko erkennbar ist. Diese Länder bieten eine Kombination aus politischer Stabilität, niedrigen Lohnkosten und wachsender Expertise bei der Elektrik/Elektronik. Etablierte Wachstumsländer wie Polen, Ungarn oder Rumänien entwickeln sich zu einem „Vollsortimenter“ und sollten bei jeder Verlagerungsentscheidung berücksichtigt werden.

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