Zentrales, intelligentes Preismanagement ist Margentreiber im Direktvertrieb – sind die OEMs bereit?
February 26, 2024 | 5 minutes read
Der Vertrieb in der Autoindustrie befindet sich in einem strukturellen Wandel. Viele OEMs in Deutschland und auch international vollziehen derzeit die Umstellung weg vom klassischen Händlermodell hin zum Direktvertriebs- beziehungsweise Agenturmodell (u.a. Mercedes-Benz, BMW). Viele weitere OEMs prüfen zumindest die Machbarkeit und erwägen eine Umstellung. Unseren Schätzungen zufolge wird im Jahr 2028 knapp jeder zweite PKW in Deutschland über das Direktvertriebs- oder Agenturmodell verkauft.
In der aktuellen Ausgabe widmen wir uns einem Thema, welches eine der entscheidenden Herausforderungen bei dieser Umstellung und gleichzeitig eine der größten Chancen ist: Dem zentralen und „intelligenten” Preismanagement. Das Wichtigste in Kürze:
Viele traditionelle OEMs, insbesondere in Europa, vollziehen den Wechsel vom Vertragshändlernetzwerk hin zum Direktvertriebs- oder Agenturmodell, bei welchem der Händler zum Agenten wird, der hauptsächlich für Kundenakquise, Probefahrten, Wartung und Service sowie Fahrzeugauslieferung zuständig ist und eine feste Verkaufsprovision von etwa 5-8 % erhält.
Die Umstellung auf das Agenturmodell ermöglicht dem Hersteller, direkt mit dem Kunden zu interagieren und auf seine Wünsche einzugehen. Dies erfordert allerdings auch ein zentrales, intelligentes Preismanagement – eine Kompetenz, die bei den OEMS heute oftmals nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist.
Ein intelligentes Preismanagement eröffnet dem Hersteller die Chance, neueste tool-basierte Lösungen zu implementieren. Auf Grundlage von Kunden- und Marktdaten und mithilfe der Nutzung von KI entwickeln diese Tools passgenaue Preisvorschläge und -maßnahmen für die jeweiligen Märkte, welche lokale, steuerliche, regulatorische und kundenspezifische Unterschiede berücksichtigen.
Unsere Erfahrung zeigt, dass der Einsatz einer intelligenten Preislösung zur Optimierung der Preis-Mengen-Beziehungen in Verbindung mit der Optimierung der Vertriebseffektivität, z. B. durch die Umstellung auf Direktvertrieb/ Agenturmodell eine Margensteigerung von 2-4 % ermöglicht.
Die Einführung eines solchen neuen Preisgestaltungsansatzes, inklusive des Aufbaus der benötigten Fähigkeiten und Tools auf Headquarter-Level, ist ein sehr komplexes Unterfangen und erfordert in der Regel viel Zeit. OEMs müssen jetzt handeln, um mit dem neuen Vertriebsmodell rechtzeitig am Markt zu sein.
Wieso Direktvertrieb?
Das sich ändernde Kundenverhalten (Online-Käufe, Preisvergleiche, etc.) und das Auftreten neuer, disruptiver Akteure mit starken Online- und Direktvertriebskapazitäten (z. B. Tesla, Polestar, Lucid) erfordern von den traditionellen Automobilherstellern ein radikales Umdenken im Vertrieb. Wenn deutsche und europäische OEMs nicht von ihren Konkurrenten aus den USA oder China überholt werden wollen, ist es zwingend notwendig, einen zeitgemäßen, digitalen Vertrieb aufzubauen.
Im traditionellen Händlervertriebsmodell erfolgt der Verkauf über eine Drittpartei, den Händler, der die Fahrzeuge des OEMs an Endkunden weiterverkauft. Hier übernehmen Händler die Lagerung, den Vertrieb und den Kundensupport. Im Gegensatz dazu ermöglicht das Agentur- beziehungsweise Direktvertriebsmodell dem Hersteller, direkter mit Endkunden zu interagieren. Der Hersteller übernimmt den Vertrieb selbst (z. B. online), wodurch er direkte Kontrolle über Pricing, Kundenbeziehungen und den Verkaufsprozess hat.
„Pricing“ ist kritischer Erfolgsfaktor im Direktvertrieb
Bereits abgeschlossene oder laufende Implementierungsprojekte bei großen OEMs haben gezeigt, wie komplex die Umstellung auf ein solches Direktvertriebsmodell ist. OEMs müssen nicht nur ihre Händler überzeugen, neue Prozesse etablieren und länder-übergreifende IT-Systeme neu aufstellen, sondern auch eine Vielzahl von neuen Fähigkeiten im Headquarter aufbauen.
Eine der kritischen Kompetenzen ist dabei das Pricing. Wo bislang die Händler in einem festgelegten Rahmen die Preise gestalteten und flexibel auf regionale Kundenwünsche reagieren konnten, muss der OEM nun eine eigene, flexible und kundenspezifische Preisgestaltung anbieten.
Um diese hohen Anforderungen erfüllen zu können, reichen die existierenden Tools und Fähigkeiten oftmals nicht aus. OEMs müssen eine moderne Pricing-Lösung etablieren. Die Grundkomponenten einer solchen Lösung bestehen in der Regel aus den folgenden Kernelementen:
Pricing Science: Die zugrundeliegende Methodik zur Berechnung der Preise, welche Aspekte wie Preiselastizität und statistische Segmentierung beinhaltet – idealerweise KI-gestützt.
Preis- und Preisrahmengestaltung: Die algorithmische Preisgestaltung, die einen Preiselastizitäts-Algorithmus verwendet, um sowohl konkrete Preise als auch Preisrahmen (einschließlich Rabatte) für alle Produkt-/ Optionskombinationen festzulegen.
Preisangebot und Verhandlung: Die Erstellung des Preisangebots für ein Produkt oder eine Kombination aus Produkt und Optionen für den Endkunden und seine Konfiguration. Eine Workflowsteuerung für Preisgenehmigungsanfragen ermöglicht es, Kundenwünsche außerhalb der vereinbarten Preisvorgaben effizient zu handhaben.
Gewinnspanne und Analytik: Die Analyse von Preis und Gewinnspanne (Marge) durch eine beliebige Analysebrille (z. B. Markt oder Sub-Geografie, Marke, Kunden-/Produktsegment, Modell/Ausstattung). Dies wird sowohl für die Analyse als auch als Data Cube für die künftige Preisgestaltung verwendet.
Die erfolgreiche Einführung eines solchen intelligenten Preismanagements im Direktvertrieb oder Agenturmodell verspricht eine Reihe von Vorteilen für den OEM:
Optimierte Margen: OEMs können ihre Gewinnmargen maximieren, da sie die Preise basierend auf den Produktionskosten, Marktwerten und Wettbewerbsumfeldern festlegen können und weniger abhängig von Händlermargen sind. (Beispiel Tesla: Tesla, welches auf Direktvertrieb setzt, lag im Jahr 2022 mit 17% EBITDA Marge weit vor Mercedes-Benz (11,7%) und Volkswagen (6%).
Gesteigerte Kundenzufriedenheit und -bindung: Ein Großteil der Kunden bevorzugt einen Festpreis im Vergleich zu Preisverhandlungen und aufwändigen Vergleichen zwischen den Händlern. Für einige Kunden sind Preisverhandlungen sogar der Hauptgrund für Unzufriedenheit im Verkaufsprozess. Außerdem können OEMs gezielt Preisstrategien für die Kundenbindung umsetzen, wie beispielsweise Loyalty-Programme, Rabatte und Sonderangebote, ohne von der Zustimmung von Einzelhändlern abhängig zu sein.
Größere Anpassungsfähigkeit: Die direkte Kontrolle über das Pricing ermöglicht es OEMs, ihre Preise je nach Produktzyklus, Lagerbestand oder saisonalen Schwankungen anzupassen. Dies führt zu einer verbesserten Anpassungsfähigkeit an die lokalen Marktgegebenheiten. (Beispiel Marriott: Mit dynamischem intelligentem Pricing passt die Hotelkette ihre Preise je nach Saison und Auslastung laufend an und optimiert so die Marge).
Schnellere Reaktionszeit: OEMs haben die Flexibilität, ihre Preise direkt an die Marktnachfrage und -bedingungen anzupassen, ohne abhängig von Zustimmung oder Vorgaben von Zwischenhändlern zu sein. Dies ermöglicht eine schnellere Reaktion auf Veränderungen im Wettbewerb mit aggressiven Akteuren.
Höhere Konsistenz: Durch den Direktvertrieb können OEMs eine konsistente Preispolitik für ihre Produkte implementieren. Es gibt keine Diskrepanzen in den Preisen aufgrund unterschiedlicher Handelsmargen oder Rabatte bei verschiedenen Händlern. (Beispiel Apple: Der Hersteller zeichnet sich dank eines zentralen Pricings durch eine stringente Konsistenz der Preise über alle online und offline Stores aus).
Die Herausforderung: Keine Zeit verlieren beim Aufbau des „Intelligent Pricing“
Ein zentrales, intelligentes Pricing ist absolut kritisch für den Erfolg der Transformation in Richtung eines Direktvertriebsmodells und die Wettbewerbsfähigkeit der OEMs – gerade in Zeiten einer konstant hohen Inflation und eines intensiven Preiswettbewerbs mit amerikanischen und chinesischen Konkurrenten. Ohne eine funktionierende Pricing-Lösung wird es schwierig sein, das Agenturmodell erfolgreich zu etablieren.
Die Einführung eines intelligenten Pricings birgt inhaltliche und technische Herausforderungen. Zu Beginn müssen Stakeholder über Länder und Märkte ins Boot geholt werden und Business Requirements gemeinsam abgestimmt sein, insbesondere der Grad an „Customization“, welcher ein maßgeblicher Treiber der Komplexität ist. In der technischen Umsetzung sind die Verfügbarkeit und Qualität der zugrundeliegenden Daten entscheidend für die Entwicklung der Pricing Science.
Von der Aufnahme der Business Requirements über Länder und Marken hinweg bis hin zur Entwicklung und Einführung einer neuen Pricing-Lösung können mehrere Jahre vergehen. Daher ist es wichtig, dass OEMs frühzeitig und entschlossen handeln und bereits in der Konzipierung der Direktvertriebsstrategie das Thema Pricing priorisieren.
OEMs dürfen keine Zeit mehr verlieren.
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