Investoren drängen auf Transparenz, Aufsichtsbehörden verschärfen die Anforderungen an die Berichterstattung, Kunden suchen nach detaillierten Informationen und Mitarbeitende verlangen mehr nachhaltigen & gesellschaftlichen Einsatz von ihren Arbeitgebern. In der aktuellen Ausgabe widmen wir uns der Frage, wie sich Automobilunternehmen in diesem Umfeld, aufstellen können, um diesen Herausforderungen wirksam begegnen zu können? Das Wichtigste in Kürze:

  • Automobilunternehmen setzen sich ambitionierte Ziele zur Erreichung von Net-Zero, doch zeigt sich dabei eine deutliche Zweiteilung
  • Während die Hälfte der untersuchten Unternehmen plant, dieses Ziel bis etwa 2040 zu erreichen, strebt die andere Hälfte eine Umsetzung näher an 2050 an
  • Aktuelle Bemühungen und Investitionen im Bereich ESG scheinen nicht auszureichen, um diese Ziele zu erreichen
  • Es lassen sich wesentliche Trends beobachten, die auf eine Verlagerung hinsichtlich langfristiger Ziele hindeuten 
  • Weitere Anstrengungen seitens OEMs und deren Zulieferer sind vor allem hinsichtlich des weiter steigenden Drucks durch Regulation nötig
  • Wir sehen folgende vier Maßnahmen als unmittelbar entscheidend
    • Pillar 1: REGULATORISCHE TRANSPARENZ
    • Pillar 2: ACTION ROADMAP
    • Pillar 3: DATENSTRATEGIE
    • Pillar 4: KONTINUIERLICHES ESG MANAGEMENT

Vielfältige Anforderungen und Druck durch das regulatorische Umfeld

Eine zentrale Antwort vieler OEMs und Zulieferer auf die vielfältigen Anforderungen der Stakeholder ist das Bekenntnis zum Erreichen der Unternehmens-Net Zero Emissionen. Unsere Analyse zeigt, dass die Unternehmen der Automobilindustrie in dieser Frage zwiegespalten sind: In etwa die Hälfte der Unternehmen strebt Net-Zero-Emissionen bis etwa zum Jahr 2040 an, die andere Hälfte bis maximal 2050. 

Für alle gilt jedoch: Um diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen, sind erhebliche Disruptionen in der Branche und deren Art und Weise, miteinander zu operieren unumgänglich. Dennoch scheinen die bisher angekündigten ESG-Aktivitäten (inklusive damit verbundene Investitionen) nicht ausreichend, um die hohen Anforderungen zu erfüllen.

Und der Druck zu handeln, nimmt weiter zu: Unternehmen müssen proaktiv das regulatorische Umfeld verstehen, denn der hierdurch entstehende zusätzliche Aufwand für Unternehmen ist groß. Unserer Analyse zufolge haben viele Unternehmen aktuell noch keinen umfassenden, weitreichenden Überblick. Dies ist unter anderem der noch teilweise nicht-kritischen Zeitleiste geschuldet. Die nachfolgende Grafik gibt einen Überblick über die aus unserer Sicht wichtigsten EU-Verordnungen und Gesetze für die Automobilindustrie.

Euro 7 (Produktanforderung)

Vom befürchteten großen Knall des RDE (Real Driving Emissions)-Testverfahrens durch Euro 7 blieb die europäische Automobilindustrie verschont. Im Wesentlichen bleibt es hier bei den gegenwärtigen Regelungen (Euro 6) für Partikelgrenzwerte und der Messung auf dem Prüfstand nach WLTP. Ausnahme bilden die neuen Grenzwerte zu nichtabgasbezogenen Feinstaubemissionen, zum Beispiel für Bremsenabrieb von 3mg/km PM10 für Elektrofahrzeuge und 7mg/km PM10 für andere Antriebe. Somit wird Euro 7 auch für (voll-)elektrische Fahrzeuge (BEV) relevant.

Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)

Die Anwendung der EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, die sogenannte Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die damit verbundene Pflicht zur Nachhaltigkeitsberichterstattung erfolgt gestaffelt und beginnt für einige Unternehmen bereits in diesem Jahr.

Unsere Analyse seit Einführung der ersten CSRD-Berichtspflicht zeigt gleichermaßen große Lücken in der Vorbereitung bei allen OEMs (Premium, non-Premium) wie auch bei größeren Zulieferern. Zu erwarten war das gute Abschneiden im Bereich Emissionen/Klimawandel (Environment) und bei der sozialen Verantwortung für die eigenen Unternehmensangehörigen (Social), da diese Punkte bereits Teil der nicht-finanziellen Berichterstattung waren. Trotzdem gibt es auch hier noch Verbesserungspotential.

Die Lücken, unter anderem im Bereich Verantwortung für Mitarbeiter in der Supply Chain (Social), legen kurzfristig den Fokus auf einen größeren Transparenzgewinn in den vorgelagerten Bereichen der Supply Chain. Dem wird mit der anstehenden Einführung der europaweiten Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD) Nachdruck verliehen. Ende April stimmte das Europäische Parlament dieser Direktive zu, die nun schrittweise ab 2027 eingeführt wird. Dabei formuliert die CSDDD genauere Anforderungen für die Markteilnehmer. 

Lieferkettenschutzgesetz (LkSG)

Der erste LkSG-Bericht wird bis April 2024 für alle Niederlassungen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern in Deutschland, unabhängig vom Hauptsitz oder der Unternehmensform, für das Jahr 2023 fällig. Das LkSG legt eine größere Sorgfaltspflicht auf Organisationen, die weit über ihre eigenen Betriebsabläufe hinausgeht. Unternehmen werden nun für die gesamte Wertschöpfungskette verantwortlich gemacht und müssen sofort handeln, sobald ihnen eine Verletzung bekannt wird; dafür müssen sie ein Whistleblower-System mit Zugang für unabhängige Dritte einrichten. Verstöße gegen das LkSG können mit Strafen von bis zu 2% des zu Grunde liegenden Umsatzes geahndet werden. Die Pflicht, welche das LkSG mit sich bringt, fasst Torsten Safarik, Präsident des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), folgendermaßen zusammen: „Pflichten dürfen nicht pauschal auf Zulieferer abgewälzt werden“.

Angesichts der globalen Vernetzung der Lieferkette in der Automobilbranche, die oft auch in Hochrisikoländern präsent ist, ist das Risiko eines LkSG-Verstoßes hoch und nicht auf bestimmte Kategorien beschränkt. Eine Studie der Sheffield Hallam University zeigt die Verbindung von fast allen namhaften Automobilunternehmen zu Menschenrechtsverletzungen in der Supply Chain, besonders mit Bezug auf Stahl, Aluminium, Kupfer und Nickel. 

Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM)

Bereits Ende Januar 2024 stand der erste Bericht zum Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) für den Zeitraum Q4 2023 an. Die finanzielle Abgabe ist für Q1 2026 geplant. Somit haben Unternehmen und die EU noch bis dahin Zeit, die exakten Bedingungen festzulegen und den Report unter realen Bedingungen anzufertigen.

Das CBAM wurde als Teil der EU-Gesetzgebung „Fit for 55“ eingeführt, mit dem Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55% zu reduzieren. Durch CBAM soll das Risiko von Carbon Leakage durch den Import von kohlenstoffintensiven Gütern anstelle von CO2-bepreisten innereuropäischen Gütern verringert werden.

Die gegenwärtigen, mehrheitlich für die Automobilindustrie relevanten Roh-/Werkstoffe, sind Eisen und Stahl, Aluminium und Chemikalien und per Kombinierte Nomenklatur (KN) klar definiert. Bis zur effektiven Einführung der CBAM-Steuer in 2026, werden noch weitere Roh-/Werkstoffe auf der Liste erwartet, wie zum Beispiel Kunststoffe.

Eine belastbare Aussage, inwiefern sich CBAM auf die Materialkosten pro Auto auswirken wird, ist aktuell kaum möglich. Das liegt vor allem am schwer zu vorhersagenden Preis für ein CO2-Zertifikat, welcher schon heute starken Schwankungen unterworfen ist, zukünftig aber weiter steigen dürfte. Darüber hinaus ist CBAM aktuell ein rein europäischer Mechanismus – eine mögliche wirtschaftliche Antwort durch andere Wirtschaftsregionen ist noch nicht transparent. Teil der Wahrheit ist aber auch, dass die CBAM-Steuer die volle Effektivität erst nach Auslauf der zugeteilten EU-Emissionshandelssystem (EHS) Zertifikate in den 2030ern entwickeln wird. 

Darüber hinaus gibt es einen konkreten Vorschlag (Umsetzung offen) der Europäischen Kommission bezüglich „kreislauforientierter Konstruktion von Fahrzeugen und über die Entsorgung von Altfahrzeugen“ mit dem Ziel der „Schaffung einer klimaneutralen und sauberen Kreislaufwirtschaft bis 2050, mit der das Ressourcenmanagement optimiert und die Umweltverschmutzung minimiert wird“ (Quelle: Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES über Anforderungen an die kreislauforientierte Konstruktion von Fahrzeugen und über die Entsorgung von Altfahrzeugen, Juli 2023).

Kreislaufwirtschaft

Die EU-Kommission hat unter anderem mit Blick auf den zunehmenden Anteil von kritischen Rohstoffen (wie etwa seltene Erden) in der emissionsfreien Mobilität einen Vorschlag zur Aktualisierung von Anforderungen an die kreislauforientierte Konstruktion von Fahrzeugen vorgelegt. Viele Unternehmen legen bereits einen zunehmend größeren Schwerpunkt auf Kreislaufwirtschaft. So auch die Circular Economy Initiativen der OEMs, die den Aufbau von internen Ressourcen und Capabilities zum Thema Wiederverwertung zum Ziel haben.

Mit Blick auf die E-Mobilität besteht eine Priorität darin, im Besitz der Batterien zu bleiben, um die Beschaffung oder den Zugang zu Rohstoffen zu sichern und Wert aus Batterien im zweiten Lebenszyklus zu schöpfen. 

Das Zielbild für den Anteil recycelter Materialien bewegt sich dabei zwischen 15 und 40%, wodurch das Erreichen diverser Qualitätskriterien des Materials kritisch wird. Fokus-Materialien sind Metalle (Aluminium, Stahl und Lithium, sowie seltene oder risikoreichere Metalle wie Kobalt und Kupfer).

Allein das Recycling ist ein wesentlicher Hebel, um eingebettete Kohlenstoffemissionen effizient zu reduzieren, wobei Reduktionen sogar teilweise über 90% erreicht werden, wenn recycelte Materialien verwendet werden.

Für alle Ziele im Zusammenhang mit recyceltem Material müssen Organisationen sicherstellen, dass sie nicht nur ausreichend recyceltes Material erhalten können, sondern dass es gleichzeitig auch der für die Sicherheit und Leistung des Fahrzeugs erforderlichen Qualität entspricht. 

Aktuell zeigt sich, dass das derzeitige Management von Altfahrzeugen gemischte Materialeigenschaften liefert. Beispielsweise bei Aluminium ist sekundäres Material oft von niedrigerer Qualität als benötigt.

Fazit

Der Wandel in Richtung eigener ESG-Budgets, Incentivierung nach Nachhaltigkeits-Kriterien und allgemeiner nicht-finanzieller Berichterstattung hat bereits begonnen. Nun ist es wichtig, sich weiterhin auf ein schnelles und umfassendes ESG Regulatory Assessment zu konzentrieren – vier Elemente sind dabei zentral:

Pillar 1: REGULATORISCHE TRANSPARENZ

Der erste Schritt zur Vermeidung von Compliance-Problemen besteht darin, eine proaktive Überwachung durchzuführen, um Antworten auf die folgenden Schlüsselfragen zu erhalten: 

  • Welche Vorschriften kommen auf uns zu? 
  • Sind sie auf uns anwendbar? 
  • Wann müssen wir was melden?

Pillar 2: ACTION ROADMAP

Auswahl an Fragen, die beantwortet werden sollten, ist:

  • Was sind unsere Ambitionen? Sind sie mit den Anforderungen unserer Interessengruppen an uns vereinbar? 
  • Was müssen (und wollen) wir priorisieren? Wo müssen wir uns am meisten verbessern?
  • Wie werden wir diese Prioritäten angehen?

Pillar 3: DATENSTRATEGIE

Auswahl an Fragen, die beantwortet werden sollten, ist:

  • Was müssen wir messen? 
  • Was messen wir derzeit? 
  • Von wem und woher müssen wir Informationen erhalten, um diese Lücken zu füllen? 
  • Wie verwalten wir unsere Daten und stellen über die Zeit hinweg Konsistenz sicher?

Pillar 4: KONTINUIERLICHES ESG MANAGEMENT

Auswahl an Fragen, die beantwortet werden sollten, ist: 

  • Welche Ressourcen benötigen wir, um den richtigen Einfluss zu gewährleisten? 
  • Wie incentivieren wir unsere Mitarbeiter, um sicherzustellen, dass sie die richtigen Entscheidungen treffen? 
  • Welche Maßnahmen setzen wir um, um Langlebigkeit, Konsistenz und Robustheit neuer Geschäftsentscheidungen sicherzustellen?

 

Haben Sie weitere Fragen zu ESG in der Automobilindustrie? Sprechen Sie mit den Autoren des aktuellen Newsletters.

 

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