Wette mit hohem Einsatz: Autohersteller müssen Hunderte von Milliarden Euro in Elektrifizierung und autonomes Fahren investieren
- Investitionen der Autohersteller erreichen mit 200 Milliarden Euro neuen Rekordwert: Der Großteil davon fließt in Elektrifizierung und autonomes Fahren<
- Autohersteller bringen bis 2022 über 200 neue E-Modelle auf den Markt
- Viele Investitionen werden sich in den nächsten Jahren nicht rechnen
- Profitabilität der Hersteller geht 2017 erstmals seit fünf Jahren zurück
- Jährliches Wachstum des globalen Automarktes verlangsamt sich von 3,8% auf 2,3%
- Dieselfahrzeuge werden bis 2030 auch in Europa zum Nischenprodukt
- Elektrifizierung hebt ab: Verkaufte elektrische Reichweite steigt 2017 um 82%
- Verknappung von Rohstoffen für die Batterieherstellung könnte E-Boom bremsen
- Autonome Fahrsysteme kosten heute noch zehn Mal mehr als Verbraucher derzeit dafür ausgeben wollen
MÜNCHEN (3. Juli 2018) – Die grundlegende Transformation der Autoindustrie erhöht den Investitionsdruck auf die Hersteller. Sie müssen immense Summen für Forschung und Entwicklung sowie für neue Partnerschaften ausgeben. Mit 200 Milliarden Euro haben die 13 weltweit größten Hersteller im Jahr 2017 Rekordinvestitionen getätigt – 2016 waren es noch rund 180 Milliarden Euro. Die Mehrausgaben sind hauptsächlich auf Investitionen in die Elektrifizierung des Antriebsstrangs und autonomes Fahren zurückzuführen. Die Hersteller planen, bis 2022 über 200 neue E-Modelle auf den Markt zu bringen. Sie werden dabei viel Geld verlieren – nicht zuletzt deshalb, weil vergleichsweise geringe Absatzzahlen für die einzelnen Modelle zu erwarten sind.
Zugleich verlangsamt sich das Wachstum des globalen Automarktes merklich. Es sinkt bis 2025 auf einen jährlichen Durchschnittswert von 2,3%, nach 3,8% in den zurückliegenden sieben Jahren. Für die von der Dieselkrise verunsicherte Schlüsselbranche der Industrienation Deutschland sind das ernste Nachrichten. Das sind nur einige der zentralen Erkenntnisse des „AlixPartners Global Automotive Outlook 2018”. Für die Studie hat die global agierende Beratung in den vergangenen Monaten die Bilanzen von mehr als 300 Automobilherstellern und -zulieferern ausgewertet sowie eine Vielzahl von Experteninterviews sowie Verbraucherumfragen durchgeführt.
Das stetige Wachstum der vergangenen acht Jahre hat den Herstellern auch 2017 Rekordumsätze beschert. Ihre Profitabilität konnten sie erstmals seit 2013 aber nicht mehr steigern. Die EBIT-Marge der weltweiten Top-25-Autohersteller ging im vergangenen Jahr zurück und erreichte 6%, nach 6,3% in 2016. Einen Grund dafür sieht AlixPartners in den steigenden Investitionen, die die Branche zu stemmen hat, um ihre grundlegende Transformation zu bewältigen. Die Themen „connected“,„autonomous“, „shared“ und „electrified“, für die AlixPartners 2014 das Akronym C.A.S.E. geprägt hatte, fordern ihren Tribut. Zudem gehen die Hersteller immer mehr Partnerschaften ein – 2017 waren es 379, im Vorjahr noch 204. Im Fokus steht dabei nicht nur die eigene Branche. Im Gegenteil: 2017 agierten zwei Drittel der Ziel-Unternehmen in den Bereichen neuer Technologie. Die Automobilindustrie konzentriert sich bei Käufen und Zusammenschlüssen vor allem auf Player aus dem Bereich Elektrifizierung und autonomes Fahren. Sie machen mit 55% den Löwenanteil der
Partnerschaften aus dem C.A.S.E.-Spektrum aus. „In den nächsten Jahren wird die Autoindustrie gezwungen sein, weltweit Hunderte von Milliarden Euro auszugeben, um die Transformation ihrer Branche zu bewältigen. Viele der Investitionen in Elektrifizierung und autonomes Fahren werden sich aber erst spät rechnen. Hinzukommen Unsicherheiten im Hinblick auf Standards, Regulierung und Technologie. Autohersteller gehen eine Wette mit hohem Einsatz ein; sie brauchen viel Geld und einen langen Atem“, kommentiert AlixPartners-Autoexperte und Managing Director Elmar Kades.
„Nur sehr große Hersteller sind in der Lage, die notwendigen Investitionen zu stemmen. Für Kleinere wird es entscheidend sein, mit den Big Playern ihrer Branche zu kooperieren und die Zusammenarbeit mit technologisch führenden Unternehmen zu suchen.“
Das global zurückgehende jährliche Wachstum stellt die Auto-Industrie vor zusätzliche Herausforderungen. Der gesamteuropäische Markt (+1% jährlich bis 2025) bleibt nur aufgrund des starken Wachstums in östlichen Ländern im Plus. Für Russland etwa geht die Studie von starken
+6,5% aus. Ganz anders in Westeuropa: Hier erwartet man bei AlixPartners einen jährlichen Rückgang um 0,6%; in Deutschland schrumpft der Markt demnach sogar bis 2025 jedes Jahr um durchschnittlich 1%. China bleibt die weltweite Wachstumslokomotive, auch wenn der Markt reifer wird und die Steigerungsraten sich normalisieren (durchschnittlich +3,8% p.a.). Für Nordamerika sieht die Studie bis 2020 einen zyklischen Rückgang der Verkaufszahlen; dann erholt sich der Markt und nähert sich bis 2024 wieder dem aktuellen Niveau an. „Der Kampf um Marktanteile unter den Fahrzeugherstellern wird wohl noch härter. Zumindest für Autokäufer sind das kurzfristig gute Nachrichten: Sie dürften sich künftig über noch mehr Rabattaktionen freuen“, sagt Elmar Kades.
Der Verbrennungsmotor verliert zunehmend an Bedeutung – ab 2020 gehen Marktanteile von Autos mit Benzinantrieb zurück, staatliche Regulierungsmaßnahmen treffen aber vor allem Dieselfahrzeuge. Auch in den Ländern der Europäischen Union werden sie laut AlixPartners bis 2030 zum „Nischenprodukt“: Vermutlich werden in Westeuropa nur noch 5% der verkauften Neuwagen einen Dieselantrieb haben. Der zurückgehende Absatz führt dazu, dass die ambitionierten CO2-Ziele der EU für Autohersteller noch schwieriger zu erreichen sein werden. Ab 2021 sollte der durchschnittliche Emissionswert von in der EU neu zugelassenen Autos bei maximal 95g CO2 pro Kilometer liegen. 2017 lag der entsprechende Durchschnittswert bei 130g und hatte sich damit im Vergleich zum Vorjahr sogar leicht erhöht. Dieselfahrzeuge stoßen weniger CO2 aus als benzingetriebene Verbrenner. Um den schwindenden Marktanteil von Dieselfahrzeugen auszugleichen, ist es laut AlixPartners-Berechnung deswegen notwendig, dass rund 5g weniger CO2 ausgestoßen werden. Die Hersteller könnte das pro Auto rund 485 Euro kosten.
Durchschlagende Markterfolge von E-Autos werden vor dem Hintergrund der europäischen CO2- Grenzwerte immer dringlicher. Die Elektrifizierung des Antriebsstrangs ist zwar 2017 endgültig in den Märkten angekommen. Laut AlixPartners Automotive Electrification Index stiegen elektrische Reichweite und der Elektrifizierungsgrad der weltweit verkauften Elektrofahrzeuge im vergangenen Jahr um jeweils 82%. Auch Deutschland schaffte 2017 die Trendwende – einem Rückgang der verkauften elektrischen Reichweite im Jahr 2016 steht ein Plus von 120 Prozent im Jahr 2017 gegenüber. Die Elektrifizierung könnte aber aus zwei Gründen Schubkraft verlieren: Der Aufbau der Ladeinfrastruktur hält nicht Schritt mit den steigenden Verkaufszahlen von E-Autos. Das dürfte potenzielle Kaufinteressenten verunsichern. Vor allem aber gehen die Experten davon aus, dass die für die Batterieherstellung essentiellen Rohstoffe knapper werden und sich die Preise dafür deshalb deutlich erhöhen dürften. Dass der Preis für Kobalt von 2016 bis 2017 um 130% in die Höhe schoss, könnte ein Vorgeschmack auf künftige Entwicklungen sein. Denn die Nachfrage nach Kobalt wird voraussichtlich schon 2022 die voraussichtliche weltweite Fördermenge übertreffen. Für Nickel könnte dieser Punkt zwar erst später erreicht sein, die Preise ziehen aber schon jetzt an. „Die absehbare Verknappung von Kobalt und Nickel macht die Lieferkette der E-Auto-Produktion anfällig. Das Ziel einer günstigeren Batterie ist deshalb bedroht“, erläutert Jens Haas, Managing Director und Autoexperte bei AlixPartners. „Grundsätzlich ist der Trend weg vom Verbrennungsmotor hin zu alternativen Antrieben aus heutiger Sicht aber unumkehrbar. Der Elektroantrieb ist dabei eindeutig in der 'Pole Position'. Wegen verschärfter Abgasmessmethoden und deutlicher Marktanteilsverlusten von Dieselfahrzeugen benötigen die Hersteller kurzfristig Lösungen, um die rechtlich vorgegebenen Emissionsziele zu erreichen. Daher setzen sie auf den Elektroantrieb – nicht zuletzt, weil er die am weitesten fortgeschrittene Alternative zum Verbrennungsmotor ist und sich eine zunehmende Akzeptanz bei den Verbrauchern abzeichnet.“
Große Hoffnung legt die weltweite Automobilindustrie aber auch in die rasche Fortentwicklung des autonomen Fahrens. Die Zuverlässigkeit autonomer Fahrsysteme nimmt auch tatsächlich zu, jedoch langsamer als von vielen Verbrauchern und der Industrie erhofft: Die Marktverfügbarkeit einer dem menschlichen Fahrverhalten vergleichbaren, autonom fahrenden Technologie erwarten die Studienautoren erst für 2025. Zudem wollen Autokäufer offenbar deutlich weniger Geld für Fahrzeuge mit autonomen Systemen ausgeben als diese tatsächlich kosten. In einer repräsentativen Umfrage unter US-amerikanischen Konsumenten im Rahmen der Studie gaben diese an, durchschnittlich 2300 Dollar mehr für ein Auto zahlen zu wollen, wenn dieses über autonome Systeme verfügt. Die Kosten liegen dafür aber aktuell zehnmal höher.
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