The AlixPartners Defense Study 2018
Die europäische Verteidigungsindustrie zwischen steigenden Budgets und wachsendem Konsolidierungsdruck: Verteidigungsausgaben erreichen 246 Mrd. Euro, Zahl unterschiedlicher Waffensysteme soll um gut 80% zurückgehen
- Europäische Verteidigungsausgaben wachsen seit 2014 kontinuierlich um 2,5% p.a.
- Budget in Deutschland erreicht 2017 den höchsten Wert seit 1999 (39 Mrd. Euro)
- Für europäische Verteidigungsunternehmen ist der europäische Exportmarkt bislang eher nachrangig
- Gemeinsame europäische Verteidigungspolitik könnte Zahl unterschiedlicher Waffensysteme von rund 180 auf etwa 30 verringern
- Europäer verbessern EBIT-Marge auf 6% (2017), bleiben aber deutlich hinter US-amerikanischen Wettbewerbern zurück (12,6%)
- Digitalisierung der Fertigung sowie länderübergreifende Allianzen können Schlüssel für mehr Wachstum, Innovation und Profitabilität sein
MÜNCHEN (9. Oktober 2018) – Die europäische Verteidigungsindustrie steht vor einem schwierigen Spagat. Einerseits steigen mit zunehmenden geopolitischen Risiken die Verteidigungsbudgets. Die Absatzchancen wachsen auch in den europäischen Ländern. Andererseits nimmt der Konsolidierungsdruck auf die Europäer weiter zu, weil sich der Aufbau einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik beschleunigt. Erschwerend kommt hinzu, dass die kostenintensive Entwicklung neuer technologischer Lösungen dringender wird und die Branche bei der Digitalisierung der Fertigung den Anschluss zu verlieren droht. Dies sind zentrale Ergebnisse der heute veröffentlichten „AlixPartners Defense Study 2018“. Für diese hat die global agierende Beratung über mehrere Monate hinweg Interviews mit Industrieexperten geführt, die Branche analysiert und öffentlich zugängliche und eigens erhobene Daten ausgewertet.
Im Jahr 2017 haben die Europäer für Verteidigung rund 246 Mrd. Euro ausgegeben, 17 Mrd. Euro mehr als noch 2014 (+7,5%). Von 2009 bis 2014 waren die Verteidigungshaushalte noch jährlich um durchschnittlich 2,4% zurückgegangen. Im Vergleich zu den europäischen Partnern erhöhte Deutschland sein Budget überdurchschnittlich um 10,3% – von 35 Mrd. Euro (2014) auf 39 Mrd. Euro (2017). Damit erreichte es den höchsten Wert seit fast zwanzig Jahren. Wie die meisten europäischen NATO-Staaten bleibt Deutschland aber mit 1,24 Prozentpunkten weit vom Bündnis-Ziel entfernt, 2% des Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung aufzuwenden.
Verteidigungsindustrie nutzt europäische Absatzchancen noch nicht hinreichend
Mit der Ausweitung ihrer Budgets folgen die Europäer dem globalen Trend hin zu mehr Militär- und Sicherheitsausgaben. Seit 2014 steigen ihre Verteidigungshaushalte sogar deutlich stärker als der weltweite Durchschnitt (+7,5% vs. +2,7%). Gründe dafür sind vor allem die wachsenden Risiken im Verhältnis zu Russland, sowie der Druck, den die USA auf die europäischen NATO-Partner ausüben, mehr militärische Eigenverantwortung zu übernehmen. Die europäischen Unternehmen der Verteidigungsindustrie profitieren davon jedoch nicht in dem Maße, wie man es erwarten könnte. Zwar setzen sie mehr um: 2014 waren es noch 80 Mrd. Euro, 2016 schon 85 Mrd. Euro. Zielregionen, vor allem britischer und französischer Unternehmen, sind aber außer ihren jeweiligen Heimatmärkten in erster Linie die Nah-Ost-Länder. Der intraeuropäische Austausch von Verteidigungsgütern bleibt hingegen trotz steigender Budgets vergleichsweise gering. So gingen von 2013-2017 etwa nur gut 10% der französischen Waffenexporte in europäische Länder, 25% aber nach Ägypten. Großbritannien führte knapp 5% nach Europa aus, fast 50% aber nach Saudi-Arabien. Einen gewichtigen Anteil europäischer Zielländer haben lediglich die deutschen Exporteure mit annähernd 30%. „Die europäische Verteidigungsbranche nutzt die sich mit den staatlichen Mehrausgaben bietenden Absatzchancen noch nicht besonders intensiv. Zum Teil scheinen nationalstaatliche Befindlichkeiten eine Rolle zu spielen: Man sieht den europäischen Partner eher als Konkurrenten zur heimischen Industrie. Zum Teil weichen die Europäer auch auf Verteidigungssysteme US-amerikanischer Provenienz aus, weil es keine europäische Lösung gibt oder aber die US-Industrie über einen zum Teil deutlichen technologischen Vorsprung verfügt. Die Rahmenbedingungen für die europäische Industrie verändern sich allerdings grundlegend: Politische Initiativen zur gemeinsamen Verteidigungspolitik schaffen vollkommen neue Voraussetzungen. Die sich daraus ergebenden Chancen sollte die Industrie nutzen“, sagt Stefan Ohl, Managing Director und Defense-Experte bei AlixPartners.
PESCO und EDF erhöhen Konsolidierungsdruck
Mit dem nahenden Ausscheiden Großbritanniens aus der EU sowie dem Drängen der USA auf eine stärkere militärische Eigenständigkeit der Europäer beschleunigt sich der Aufbau einer gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Beschlüsse wie die im Dezember 2017 unterzeichnete „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ („Permanent Structured Cooperation“, PESCO) wirken sich massiv auf die Industrie aus. Sie soll bei Verteidigungsprojekten verstärkt länderübergreifend kooperieren. Man zielt auf mehr Interoperabilität zwischen den EU-Staaten, will also die Einsatzfähigkeit multinationaler Verbände durch die Verzahnung von Verteidigungsstrukturen und -systemen verbessern. Reduziert werden sollen dafür vor allem die in Europa eingesetzten unterschiedlichen Hauptwaffensysteme. Deren Zahl soll um gut 80% sinken, von derzeit rund 180 auf circa 30, und sich damit auf US-amerikanisches Niveau zubewegen. Bei den Europäern sind aktuell beispielswiese 37 unterschiedliche Kampf- und Schützenpanzer im Einsatz, bei den US-Streitkräften sind es 3. Bei Fregatten und Zerstörern (29 vs. 4) und Kampfflugzeugen (20 vs. 6) ist die Differenz ebenfalls immens. Für Unternehmen der Verteidigungsindustrie bedeuten diese Entwicklungen große Herausforderungen, bringen aber auch eine Vielzahl an Chancen mit sich. Denn mit PESCO wollen 25 EU-Mitgliedstaaten – Dänemark, Malta und Großbritannien haben die bindende Vereinbarung nicht gezeichnet – die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Industrie erhöhen und sie auch technologisch für aktuelle und künftige Herausforderungen rüsten. Dazu planen die Partner den Investitionsanteil im Gesamtverteidigungshaushalt auf 20% zu steigern. 2017 lag dieser Anteil etwa in Deutschland bei 13,75%. Zudem werden zweitens gemeinsame zwischenstaatliche Verteidigungsprojekte von den Regierungen verstärkt unterstützt. 17 wurden bereits angekündigt. Drittens soll der Anteil an Forschung und Entwicklung künftig 2% der Gesamtausgaben ausmachen. Zusätzliche Mittel kommen aus dem 2017 geschaffenen Europäischen Verteidigungsfonds (European Defense Fund, EDF). Die EU und ihre Mitgliedsstaaten stellen dafür von 2017 bis 2020 insgesamt rund 2,5 Mrd. Euro bereit. Ab 2021 sind sogar 5,5 Mrd. Euro jährlich vorgesehen. Der EDF soll seine F&E-Mittel ausschließlich in gemeinsame, länderübergreifende Verteidigungsprojekte investieren. Im Fokus stehen Drohnen, strategische Frühaufklärung, Systeme zum Schutz von Soldaten sowie die Ausrüstung von Soldaten. „Mit PESCO und EDF erhält die europäische Verteidigungsindustrie neue Spielregeln in ihren jeweiligen Heimatstaaten und in den Absatzmärkten der EU. Wenn sie die sich bietenden Chancen nutzen will, müssen die Unternehmen verstärkt auf Allianzen untereinander setzen. Das können Forschungs- und Entwicklungskooperationen sein, aber auch strategische Zusammenschlüsse“, sagt AlixPartners-Vice-President und Verteidigungsexperte Philipp Presslauer. Dieser Trend hat die Europäer bereits erfasst. Airbus und Dassault kooperieren etwa bei der Entwicklung eines neuen Luftkampfsystems, Nexter und KMW arbeiten gemeinsam an einem europäischen Kampfpanzer.
Margen europäischer Unternehmen deutlich niedriger als die der US-Wettbewerber
Diese grundlegenden Veränderungen treffen eine Industrie, die ohnehin vor Herausforderungen steht. Die Digitalisierung vor allem der Fertigungsprozesse ist im Branchenvergleich noch nicht besonders weit fortgeschritten. Die Profitabilität von Unternehmen, die sich bereits digital zukunftsfähig aufgestellt haben, liegt nach Berechnungen von AlixPartners aber um mehr als 15% höher als die der unzureichend digitalisierten Wettbewerber. Die Digitalisierung könnte also neue Ertragschancen eröffnen. Zwar gelang es den europäischen Top-Unternehmen der Verteidigungsindustrie in den vergangenen Jahren ihre Margen zu verbessern – die EBIT-Marge stieg von 2013 bis 2017 von 4% auf 6% –, sie bleiben aber noch immer deutlich unter den Vergleichswerten der US-amerikanischen Player. Diese erreichten 12,6% (2017) nach 11,7% (2013). Zugleich treiben neue Verteidigungsstrategien und eine veränderte Kriegsführung die Nachfrage nach technologischen Lösungen, die Künstliche Intelligenz oder autonome Antriebssysteme einschließen. Dafür notwendige kostenintensive Entwicklungsprojekte dürften die Margen zusätzlich belasten.
„Für die Unternehmen der Verteidigungsindustrie gibt es aktuell sehr viele Chancen. Nutzen können sie diese aber nur, wenn sie sich schnell und überlegt transformieren. Sie sollten dazu ihre Profitabilität etwa durch Kostensenkungsprogramme steigern, die Herausforderung der Digitalisierung annehmen, zielgerichtet die richtigen Partner für länderübergreifende Allianzen finden und das Potenzial des europäischen Absatzmarktes voll erschließen. Die Verteidigungsunternehmen Europas könnten damit zu Gewinnern des Wandels werden“, resümiert AlixPartners-Experte Stefan Ohl.
Über AlixPartners
Die global agierende Beratung AlixPartners steht für die ergebnisorientierte Unterstützung namhafter Mandanten bei zeitkritischen und komplexen Transformations- und Ertragssteigerungsprogrammen. Tiefgreifende Branchenexpertise und funktionale Kompetenz sowie die Kenntnis der Hebel erfolgreicher Restrukturierung ermöglichen es AlixPartners, den Wandel von Groß- und mittelständischen Unternehmen zielgerichtet zu begleiten. Mit etwa 1.900 Mitarbeitern ist AlixPartners weltweit in mehr als 25 Büros vertreten. AlixPartners-Berater arbeiten an herausfordernden Projekten, die die Zukunft von Unternehmen maßgeblich beeinflussen, oft in kritischen Situationen, bei denen viel auf dem Spiel steht – When it really matters.
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